Alexis Tsipras
© ReutersAuch in der Griechenland-Berichterstattung verdeutlichten deutsche Medien im Zweifel lieber einmal zu oft ihre "Haltung", als es bei einer wertungsfreien Analyse zu belassen. Die Otto Brenner Stiftung meint, dies schadete der Ausgewogenheit.
Die Otto Brenner Stiftung hat Nachrichtensendungen von ARD und ZDF zur Griechenland-Krise 2015 analysiert. Dabei hat sich der Eindruck verfestigt, wonach deren Berichterstattung über Griechenland "insgesamt unausgewogen" ausfiel.

Die Otto Brenner Stiftung, die wissenschaftliche Stiftung der deutschen Metallarbeitergewerkschaft IG Metall, hat Ende letzter Woche die Studie "Die Griechen provozieren!" veröffentlicht. Dabei wurden sämtliche Sendungen von "Tagesschau" und "heute" im Jahr 2015 sowie die dazugehörigen Sondersendungen wie "Brennpunkt" und "ZDF spezial" zur griechischen Staatsschuldenkrise analysiert. Das Fazit:
Die Berichterstattung zur griechischen Staatsschuldenkrise war wenig tiefgründig und stark wertend.
Die Studie bemängelt dabei nicht eine möglicherweise fehlende Vielfalt und Relevanz der Themen sondern vor allem das Fehlen von Neutralität, Ausgewogenheit und analytischer Qualität der Sendungen.
Die Berichterstattung blieb im Untersuchungszeitraum auf ganz wenige Themen fokussiert, Journalist*innen ließen oft eigene Bewertungen in Nachrichten und Berichte einfließen und die Tonalität über alle Beiträge hinweg war deutlich zuungunsten der Position der griechischen Regierung.
Journalisten hätten demnach in nicht zu knappem Ausmaß eigene Bewertungen in die Berichte einfließen lassen. Insgesamt konnte in jeden zehnten Bericht eine eindeutige Wertung nachgewiesen werden. Dabei bewerteten die Journalisten die griechische Regierung erheblich häufiger negativ als positiv, insbesondere gemessen an den Wertungen bezüglich des Gebarens der deutschen Regierung.

So hörte man aus dem Off regelmäßig tendenziöse Formulierungen wie "die Griechen provozieren" oder würden "politische Kapriolen" an den Tag legen. Allgemein traf Kritik vor allem die griechische Regierung, was die Analysten als "unausgewogen" bezeichneten. Gleichzeitig kam die griechische Regierung auch wesentlich seltener zu Wort als andere Akteure. Hingegen konnte man die Bundesregierung nach dem Dafürhalten der Verfasser der Analyse auffällig häufig im O-Ton hören.

Ein anderer Kritikpunkt der Analysten aus der Otto Brenner Stiftung ist, dass Zuschauer nur oberflächlich über die griechische Reformpolitik informiert wurden. In einem Großteil der Berichterstattung wurde diese nicht einmal thematisiert. Von insgesamt 139 Reformvorschlägen der griechischen Regierung wurden nur 63 in der Berichterstattung zur griechischen Staatsschuldenkrise überhaupt aufgegriffen. Das entspricht gerade mal 45,3 Prozent.

Für die Autoren der Analyse bleibt der Eindruck, die öffentlich-rechtlichen Medien seien in Summe deutlich hinter ihrem Potenzial zurückgeblieben:
Insgesamt kann nur von einer eingeschränkten Hintergrundberichterstattung zur griechischen Staatsschuldenkrise gesprochen werden. Damit fehlte es der Berichterstattung zum Teil an analytischer Qualität."
Auch eine spürbare Einseitigkeit der Berichterstattung konnten die Medienanalytiker nachweisen. So hätten sich Sendungen auf das Thema eines möglichen Euro-Austritts konzentriert. Einen solchen sprachen die öffentlich-rechtlichen Berichterstatter erheblich häufiger an als die meisten Politikfelder und Reformvorschläge.
Vor allem vor diesem Hintergrund kann festgehalten werden, dass die Auseinandersetzung mit den Konsequenzen der Krise größeren Raum einnahm als die Befassung mit den meisten Lösungsansätzen der vorgeschlagenen Reformen."
ARD und das ZDF reagierten sofort auf die Kritik der Forscher, indem sie deren Methoden anzweifelten. Aus ihrer Sicht zeige die Studie kein repräsentatives Bild der Berichterstattung. Wichtige Sendungen seien gar nicht berücksichtigt worden. So meinte ARD-Chefredakteur Rainald Becker, dass das Erste "über die griechische Finanzkrise sehr ausführlich, analytisch und journalistisch ausgewogen berichtet" habe.


Kim Otto, Hauptautor der Studie, rechtfertigte die Auswahl des Untersuchungsmaterials damit, dass es sich dabei um Flaggschiffe von ARD und ZDF handle. Die untersuchten Sendungen seien die "am breitesten rezipierten" Sendungen. Somit würde man anhand der Auswertung dieser Formate durchaus ein umfassendes Bild über die Griechenland-Berichterstattung bei den Sendern erhalten.

Das Zählen von Adjektiven ohne Kontext erlaubt aus journalistischer Sicht aber überhaupt keine Aussage über die Qualität eines Berichtes", so ARD-Chefredakteur Becker.
Der Professor für Wirtschaftsjournalismus, Kim Otto, verteidigte hingegen diesen Ansatz, indem er darauf verwies, dass wertende Adjektive nichts in der Sendung zu suchen haben. Diese zu zählen sei eine "gut nachvollziehbare", quantitative Methode.

Bereits im Mai hatten Kim Otto und Andreas Köhler eine Studie über die Griechenland-Berichterstattung deutscher Medien veröffentlicht. Damals untersuchten sie Tageszeitungen und die Internet-Plattform "Spiegel Online". Das Ergebnis ihrer Analyse fiel ähnlich aus. Deutsche Journalisten haben die "Qualitätskriterien zu wenig beachtet", lautet das höfliche Resümee.
Es zeigt sich, dass die Berichterstattung zur griechischen Staatsschuldenkrise sehr stark regierungsgeprägt, mehrheitlich meinungsorientiert und wertend ist", so das Ergebnis damals.