Köln. Die Kollegin hat panische Angst vorm Chef, die Schwester ist mit ihren Kindern komplett überfordert, der Freund fühlt sich vernachlässigt. Oft weiß man gar nicht, was in den Menschen um uns herum vorgeht, halten sie vielleicht für zufriedener und glücklicher als sie es sind. Doch woran liegt das? Spielen sie den anderen etwas vor oder schauen die einfach nicht genau genug hin?
«Grundsätzlich gilt ja erst einmal, dass kaum einer seine Gefühle immer offen vor sich herträgt«, erklärt Peter Groß vom Bundesverband deutscher Psychologinnen und Psychologen. Vielmehr gebe es die Tendenz sie zu verbergen - sei es in einem bestimmten Umfeld oder gegenüber bestimmten Personen. Man überspielt zum Beispiel schlechte Laune, um ein Fest nicht zu verderben, oder gibt trotz Nervenflattern den Fels in der Brandung, um gegenüber dem Chef gut dazustehen.
Emotionale Versteckspiele
«Oft entspringt die Verstellung dem Wunsch, sich sozial wünschenswert zu verhalten oder einer Rollenerwartung zu entsprechen - zum Beispiel der des immer stabilen, verlässlichen Mitarbeiters», erklärt Dieter Frey, Professor für Sozialpsychologie an der Uni München. Durch ein gefühlsgeleitetes «Aus-der Rolle-Fallen» befürchte man negative Konsequenzen, etwa weniger beliebt zu sein oder in der Achtung anderer zu sinken.
Häufiger Grund für das «emotionale Versteckspiel» ist aber auch Rücksicht auf die Gefühle anderer. Man will sie beispielsweise nicht mit den eigenen Sorgen belasten.
Inwieweit man die Maskerade durchschaut, hängt nicht nur davon ab, ob die betreffende Person ein guter Schauspieler ist, sondern auch von einem selbst: «Genauso wie Menschen unterschiedlich gut darin sind, sich zu verstellen, ist auch ihr Einfühlungsvermögen unterschiedlich ausgeprägt», erklärt Frey. Für manche ist es einfach, Gedanken, Gefühle und Charakterzüge zu erkennen, anderen fällt das deutlich schwerer.
«Man kann seine Sensibilität aber durchaus schulen», erklärt Fritz Strack, Psychologie-Professor an der Uni Würzburg. Damit der Blick hinter die Fassade gelingt, sei es wichtig, die volle Aufmerksamkeit auf sein Gegenüber zu richten. «Es gilt, das Verhalten zu beobachten, genauso wie seine Mimik und Gestik», erklärt er. Und man müsse ihm genau zuhören.
Kleine, versteckte Hinweise
Anhand sogenannter subtle cues - kleiner, oft unterbewusster Signale - lassen sich sogar bei eher verschlossenen Personen Rückschlüsse darauf ziehen, was sie beschäftigt. So weise etwa bei jemandem, der vorgibt, völlig ruhig zu sein, eine angespannte Körperhaltung darauf hin, dass dem nicht so ist. «Die Körpersprache verrät viel über den Gefühlszustand eines Menschen», so Strack.
Neben nonverbalen Hinweisen sind es oft Veränderungen oder Auffälligkeiten im Verhalten einer Person, die darauf hindeuten, dass sie etwas beschäftigt. Dazu gehören zum Beispiel Einsilbigkeit, sozialer Rückzug, leichte Reizbarkeit oder ein auffälliger Leistungsabfall.
Nimmt man an, dass jemand mit etwas zu kämpfen hat und will erfahren, was es ist, sollte man sich vorsichtig herantasten. «Es empfiehlt sich, differenziert zu beobachten: Unter welchen Bedingungen explodiert jemand, wann reagiert er empfindlich, wann schweigt er?», rät Frey. Auf diese Weise könne man Zusammenhänge entdecken und eine Ahnung davon entwickeln, was ihn beschäftigt. «Lohnenswert kann auch sein, andere zu fragen, ob ihnen etwas aufgefallen ist - so ergänzt sich das Puzzle».
Da es trotz allem bei Mutmaßungen bleibt, hilft aber letztlich nur nachfragen. Dabei ist Fingerspitzengefühl gefragt. Das A und O ist es, den richtigen Ton zu treffen. Der sollte keinesfalls vorwurfsvoll oder drohend sein nach dem Motto «Wieso verheimlichst du mir etwas?». Vielmehr sollte man ruhig und diplomatisch vorgehen, Interesse am Wohlbefinden der anderen Person signalisieren und seinen Eindruck der Situation schildern. Etwa: «Ich mache mir Sorgen, weil du in letzter Zeit so abwesend wirkst.»
Nachhaken ja, in die Enge treiben nein
Will jemand nicht mit der Sprache herausrücken, liegt das oft an der Angst vor Sanktionen, oder davor, dass nicht vertraulich mit dem Erzählten umgegangen werden könnte. «Die sollte man ihm nehmen, indem man versichert 'Ich spreche mit niemandem darüber' und 'Was auch immer dich bedrückt: Du musst von mir keine Nachteile fürchten'», erklärt Groß. Genauso wichtig sei die Wahl des Augenblicks. Zwischen Tür und Angel oder vor versammelter Mannschaft nachzufragen macht wenig Sinn. Empfehlenswert ist eine entspannte Atmosphäre und ein Moment der Ruhe.
Ist die Antwort Schweigen oder ein unbefriedigendes «Mit mir ist nichts», kann man nachhaken, sollte das Gegenüber aber nicht zu sehr in die Enge treiben. «Besser ist es, das Gespräch zu vertagen und zu einem anderen Zeitpunkt wieder auf die Problematik sprechen zu kommen», erklärt Frey. Vertraut sich einem der andere schließlich an, sollte man Unterstützung anbieten. Ist das Problem gravierender Art, überzeugt man ihn möglichst, einen Therapeuten aufzusuchen.
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