Trump Merkel
Wird sich in Europa dank Trump etwas zum Positiven bewegen?
Seit der Trump-Wahl scheint es, als hätte man unseren Politikern und Medien etwas amputiert - nämlich das, was gemeinhin als der Washingtoner Konsens bezeichnet wird. Also jenes ideologische Gerüst, das neoliberale Politik, „humanitäre Interventionen“, das Primat der Großkonzerne und liberalen Nihilismus als „alternativlos“ darstellt. Mit Trump als künftigem Präsidenten der Führungsnation des Westens stellt sich die Frage, wie unsere europäischen Eliten reagieren werden, jetzt, da ihre Washington-Hörigkeit und ihre tief internalisierte „Konsens“-Ideologie in Konflikt geraten.

Was machen all die Transatlantiker jetzt, da die - zumindest offiziell - höchste transatlantische Autorität vieles von dem in Frage stellt, was weite Teile unserer Elite so tief verinnerlicht haben? Vorerst scheinen sie zu leugnen, dass sich etwas verändert hat. So drängt die britische Premierministerin Theresa May absurderweise auf einen Konfrontationskurs mit Russland ("Assad muss gehen"), entgegen Trumps Annäherung an den „Klassenfeind“, der in den letzten Jahren als Sündenbock Nr. 1 für alle Probleme auf der Welt herhalten musste, die meist vom Westen verursacht wurden. "Europa muss jetzt erwachsen werden", titelt die FAZ und meint damit, wir sollten den konfrontativen, mörderischen neoliberalen Kurs wie bisher weiterführen.

Hoffen unsere Politiker und Medien vielleicht, dass Trump doch noch auf den üblichen Kurs des Washingtoner Konsenses einschwenkt und alles nur Wahlkampfrhetorik war? Das drückt zum Beispiel der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz und ehemalige US-Botschafter Wolfgang Ischinger so aus:
Ischinger: Wir haben einen Augenblick maximaler, nie dagewesener Verunsicherung im transatlantischen Verhältnis. Nicht nur wegen der Sprücheklopferei, sondern weil wir tatsächlich nicht wissen, was dieser Präsident - wenn er im Amt ist - nun eigentlich vorhat. Will er diese losen Sprüche aus dem Wahlkampf eins zu eins umsetzen? Ich glaube das eigentlich nicht, aber wir wissen es nicht so genau.
Oder ist es nach Jahrzehnten der Internalisierung des Washingtoner Programms einfach zuviel verlangt, vieles davon in Frage zu stellen? Es besteht die Möglichkeit, dass sich einige Politiker und Vertreter des "Eliten-Clubs" nach und nach Trump und seinen Positionen annähern werden - sei es aus reinem Karriere-Kalkül oder weil sie insgeheim einige seiner Ansichten teilen, diese bisher aber nicht zu äußern wagten.

Akzeptanz der neuen Realität


Man spricht ja in der Psychologie von 4 Phasen der Trauer:
1. Trauerphase: Nicht-Wahrhaben-Wollen

In dieser ersten Phase der Trauer ist der Betroffene vom Schock der Nachricht meist wie erstarrt. Es herrschen Verzweiflung, Hilf- und Ratlosigkeit vor. Häufig wird der Verlust vom Trauernden zu diesem Zeitpunkt verleugnet.

2. Trauerphase: Aufbrechende Emotionen

In dieser Phase ist der Schock bis zu den Gefühlen durchgedrungen. [...]

3. Trauerphase: Suchen und Sich-Trennen

Das bewusste Abschied nehmen kann nun beginnen; der Verlust wird verarbeitet.

4. Trauerphase: Neuer Selbst- und Weltbezug

In der letzten Trauerphase kehrt allmählich innere Ruhe und Frieden mit sich selbst und dem Verlust ein. Es wird ein neuer Lebenszusammenhang [...] geschaffen und somit kommt es zu einer neuen Wiedereingliederung in die Gesellschaft.
Nehmen wir an, es wird tatsächlich um den Washingtoner Konsens getrauert, der Politikern und ihren Netzwerken in den letzten Jahrzehnten so "hervorragend" gedient hat. Manche werden wohl schneller das letzte Stadium der Trauer erreichen und einen Neuanfang machen als Andere. Dies hängt sicherlich auch stark von den einzelnen Themen und Politikfeldern ab - es stimmt beispielsweise optimistisch, dass vonseiten der NATO teilweise nun etwas mildere Töne gegenüber Russland zu hören sind:
Nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten stimmt die Nato-Führung laut Reuters „mildere Töne“ gegenüber der Regierung in Moskau an. „Russland ist unser größter Nachbar, Russland bleibt und es ist insbesondere dann wichtig, im Dialog zu bleiben, wenn die Spannungen größer werden und man verschiedenen Herausforderungen im Sicherheitsbereich gegenübersteht“, sagte der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, am Dienstag in Brüssel.
Beginnen hier manche, die neue Donald-Trump-Realität zu akzeptieren? Wir sollten allerdings nicht vergessen, dass wir es bei unserer Machtelite oftmals mit pathologischen Individuen zu tun haben, die nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und denen andere Menschen völlig egal sind. Manche von diesen werden zwar ihr Fähnchen nach dem Wind richten, wenn sie einen Vorteil darin sehen, das heißt aber noch lange nicht, dass sie etwas Positives bewirken. Viele leben so sehr in ihrer eigenen Realität, dass sie lieber sich und andere in den Untergang reißen, als sich der Wirklichkeit zu stellen. Interessant in diesem Zusammenhang ist aber zu erwähnen, dass Trump ja ein Geschäftsmann ist - das heißt, dass man mit ihm Deals machen kann. Vielleicht reizt das den einen oder anderen Bürokraten diesseits des Atlantiks ausreichend, um bisherige Ideologien zu vergessen und auf ein neues Pferd zu setzen? Auch Ischinger, der ehemalige US-Botschafter, erkennt die Geschäftsmann-Qualitäten von Donald Trump:
Ischinger: Da bin ich ganz sicher. Wenn Sie lesen, was er so schreibt in seinem Buch „The Art of a Deal“, dann wissen Sie: Das ist ein Mann, der die renommierte Wharton School absolvierte, der einen MBA hat - der weiß schon, was er tut. Ich denke diejenigen, die glauben, sie hätten es hier mit einem dümmlichen Idioten zu tun, die liegen ganz ganz falsch.
Trump Europe
© ImagoNoch wird Trump in Europa verteufelt - wie lange noch?
Zu alldem passt auch, dass sich Angela Merkel jüngst für ein Burka-Verbot aussprach und Francois Hollande gegen muslimische Immigration wetterte. Sicherlich hat das viel mit Wahlkampf zu tun und man will damit den rechten Parteien das Wasser abgraben. Dennoch ist es interessant, dass solche Positionen gerade jetzt "salonfähig" werden, da Trump gewählt wurde. Trumps Anti-Immigration-Einstellung ist allerdings nur eine von vielen Positionen, die er während des Wahlkampfs vertrat. Einige seiner vernünftigen Positionen betreffen beispielsweise das Ende von Regime Changes oder den teilweisen Rückzug aus der NATO. Diese Positionen sind natürlich für das hiesige Establishment - noch - völlig inakzeptabel. Doch wie lange noch? Schließlich wäre all dies in Europas ureigenem Interesse und es bleibt zu hoffen, dass die vernünftigen Stimmen in Europa durch den Kurswechsel in den USA (wenn er denn stattfindet, was keinesfalls sicher ist) gestärkt werden. Jedenfalls stimmt, was die FAZ sagt: Europa muss erwachsen werden. Doch heißt das nicht etwa, den bisherigen imperialistischen und mörderischen Kurs fortzusetzen, dem der Autor des Artikels nachtrauert, sondern selbstbewusst einen Kurs des Friedens zu verfolgen und den alten Washingtoner Konsens dorthin zu schicken, wo er hingehört: in die pathologische Wüste.

Wie wird sich das alles entwickeln? Wir dürfen gespannt sein. Einige Vertreter von Politik, Medien und Wirtschaft werden sich - zumindest in einigen Punkten - den Trump-Positionen anschließen, vielleicht auch einigen seiner vernünftigeren Vorschläge. Andere werden auf dem neoliberalen Washingtoner Konsens, der Kriegspolitik und der Hetze gegen Russland beharren. Wie wird sich dieses Wechselspiel auf Politik und Gesellschaft auswirken? Wie wird sich die Nato entwickeln, sollte Trump mit seinen Wahlkampfversprechen Ernst machen und Amerikas innere Angelegenheiten wieder in den Mittelpunkt rücken? Werden die Rechtspopulisten in Europa das Ruder übernehmen, wenn die derzeitigen Eliten starr auf dem bisherigen, neoliberalen Kurs beharren? Es gibt so viele Unwägbarkeiten und Möglichkeiten, dass man dies noch nicht genau sagen kann. Schauen wir gemeinsam hin und verfolgen wir die Entwicklung aufmerksam!