Ein Forscher spricht darüber, wie Konzerne Forscher und Universitäten gefügig machen. Die Tabakindustrie hatte es vorgemacht.
Bienesterben
© LiebeisstlebenImker mit gestorbenen Bienen
2012 lernte James Cresswell die unschönen Seiten der Forschungsfinanzierung kennen. Seit mehr als zwanzig Jahren hatte der Experte für florale Fortpflanzung bis dahin an der britischen Universität von Exeter geforscht. Schlagzeilen hatten seine Blümchen- und Bienchenthemen noch nie gemacht.

Als Cresswell anfing, sich für die Ursachen des Bienensterbens zu interessieren, änderte sich das. Er war auf einen Bereich gestossen, in dem es um hohe Gewinne, Marktanteile und nicht zuletzt um die richtige Definition der Wahrheit geht.

Die New York Times (NYT), der Cresswell ungewöhnlich offen über seine Beziehung zu Syngenta Auskunft gegeben hat, dokumentiert, wie Forscher von den Konzernen manipuliert werden, damit sie passgenaue Forschungsergebnisse liefern.

Ein unrühmliches Vorbild ist dabei die Tabakindustrie, deren Einfluss auf Wissenschaft und Politik ihresgleichen sucht (Infosperber: «Die Manipulation der Tabakindustrie ist legendär»).


Kommentar: Bei den Hintergründen zur Anti-Raucher-Kampagne geht der Kaninchenbau viel tiefer als allgemein bekannt:

Ein Faust’scher Pakt

«Zusammenfassend kann man sagen: Syngenta hatte Einfluss auf mich», sagte Cresswell der NYT. «Ich habe nicht bewusst getäuscht, aber sie haben auf jeden Fall beeinflusst, was ich schlussendlich in diesem Projekt gemacht habe».

Das Projekt, eine Arbeit über die Ursachen des Bienensterbens, hätte aktueller nicht sein können. Bereits vor fünf Jahren hielten viele Wissenschaflter die Pestizidklasse der Neonicotinoide für verantwortlich oder mindestens mitverantwortlich für den rätselhaften Bienentod. Einige andere und auch die agrochemische Industrie führten das Bienensterben auf die Krankheit Varrose zurück, die von einer Milbe übertragen wird. Manche vertraten eine gemischte Hypothese.

Nachdem sich - oder weil sich - Cresswell nach ersten Untersuchungen 2011 skeptisch über die Neonicotinoid-These geäussert hatte, bot ihm Syngenta 2012 die Finanzierung seiner weiteren Forschung an. Das Angebot abzulehnen, kam nicht in Frage. Zu gross war der Druck seines Arbeitgebers, der Universität Exeter, die diesen Umstand gegenüber der New York Times nicht kommentieren wollte. Zustande kam ein «Faust ’scher Pakt», wie Cresswell heute sagt.

Ein harmonischer Anfang

Cresswells von Syngenta finanzierte Forschungen begannen harmonisch: Man legte die Art der Bezahlung fest, begutachtete gemeinsam vielversprechende Forschungsassistenten und einigte sich auf eine Liste von acht möglichen Ursachen für das Bienensterben, denen Cresswell nachgehen sollte.

Doch schon bald mischten sich erste Misstöne in die anfangs gute Beziehung. Cresswells erste Untersuchungen stützten die Varrose-These nicht. «Wir sehen es als ziemlich unwahrscheinlich an, dass Varrose für das Bienensterbens verantwortlich ist.», schrieb er 2012 an Syngenta. Cresswell solle sich mehr um die Verluste in einzelnen Bienenstöcken kümmern, statt um grossflächige Trends, antwortete sein Ansprechpartner bei Syngenta. «Weil das eine andere Antwort ergeben könnte!», ergänzte er.

Erste Misstöne

In den nächsten Wochen forderte Syngenta Cresswell mehrmals auf, seine Forschungen wieder auf die Varroamilbe zu konzentrieren. In einer anderen Email schrieb Cresswells Ansprechpartner, es wäre auch gut, die Milbe in Ländern, in denen sie das Bienensterben verschlimmert haben könnte, «als möglichen Steigerungsfaktor zu untersuchen».

In der gleichen Email und als Teil einer Konversation mit dem Betreff «Varoosis Report» bat der Syngenta-Verbindungsmann Cresswell, sich auf Veränderungen in Europa zu konzentrieren, anstatt sich weltweit umzusehen. Cresswell zeigte sich einverstanden und schrieb «ich habe einige andere Ansätze, um Varrose weiter zu beleuchten».

Eine ungleiche Beziehung

Durch die Änderung der Untersuchungsparameter wurden die Varroamilben zum signifikanten Faktor. «Wir kommen zur der Ansicht, dass Varrose das Potential hat, grossflächige Verluste an Bienenkolonien zu verursachen», schrieb Cresswell im Januar 2013. Eine spätere Email bestätigt diese Ansicht.

In manchen Punkten wehrte sich Cresswell. Obwohl er laut einer Email von Syngenta an die Universität Exeter «volle redaktionelle Kontrolle» über seine Arbeit haben würde, zeigte er sich in einer anderen Email besorgt über eine Geheimhaltungsvereinbarung, die «Syngenta das Recht gibt, die Ergebnisse zu unterdrücken». «Ich bin nicht glücklich darüber, mit einem Maulkorb zu arbeiten», schrieb er. Die Schweigefrist wurde daraufhin auf wenige Monate verkürzt.

Die «Hidden Agenda»

Rückblickend sagte Cresswell «Syngenta hat ganz klar eine Agenda». In einer Email fasste er diese zusammen als: «It’s the Varroa, stupid» (es ist die Varoa-Milbe, Dummkopf).

Syngentas Sprecher Luke Gibbs stritt jede Beeinflussung ab und sagte gegenüber der NYT: «Mit dem Ziel, uns auf relevante Ergebnisse zu konzentrieren, haben wir die Forschungsschwerpunkte in Zusammenarbeit mit dem Forscher diskutiert und definiert. Wir haben Dr. Cresswells Unabhängigkeit nicht untergraben, ihm keine Herangehensweise für die acht gemeinsam definierten Schwerpunkte vorgeschrieben oder die Schlüsse, die er daraus zog, eingeschränkt».

Zusammenbruch

Cresswells Verbindung zu Syngenta begann den Wissenschaftler zu belasten. Das Vertrauen in den eigenen Reihen schwand. Für Umweltschützer wurde er zum Gegner. In den Medien wurde er über seine Beziehung zur Industrie definiert. Cresswell begann, sich «wirklich inkompetent» zu fühlen und hatte einen Zusammenbruch. Er verliess seinen Arbeitsplatz für mehrere Monate. «Ich habe nicht bedacht, welch grossen Einfluss die Verbindung mit Syngenta darauf haben würde, wie die Welt mich als Wissenschaftler sieht. Das war meine Fehleinschätzung», sagte er der NYT.

Inzwischen arbeitet Cresswell an weniger kontrovers diskutierten Fragen der Bienenforschung. Eine Studie, die kürzlich vom britischen Zentrum für Ökologie und Hydrologie veröffentlicht wurde, schreibt Neonics eine Dezimierung von Wildbienenvölkern von mindestens 20 Prozent zu. Neonicotinoide sind inzwischen Thema eines EU-Moratoriums.

Das Thema bleibt aktuell

Syngenta-CEO Eric Frywald kommentierte den hier zitierten Artikel der NYT in einem Leserbrief. «[Der Artikel] bildet die harte Arbeit und das Engagement der 28‘000 Angestellten von Syngenta und unserer zahlreichen Partner bei NGO’s, Forschungsinstituten und Regierungen nicht ab. Sie arbeiten mit dem Ziel zusammen, Landwirten zu ermöglichen, die Welt nachhaltig zu ernähren....», schrieb Frywald. Der Artikel stelle die Integrität der wissenschaftlichen Partner in Frage und stelle die Vorteile der Zusammenarbeit nicht dar (ganze Stellungnahme lesen).


Kommentar: Ob der Konzern 'die Welt nachhaltig ernähren' will oder seine Profite sichern, sollte mittlerweile für jeden offensichtlich sein:
  • Syngenta und Monsanto wollen sämtliche Patente auf alle unsere Nahrungsmittel



Die Pestizidklasse der Neonicotinoide steht seit mehr als zehn Jahren im Verdacht, mindestens Mitverursacher des Bienensterbens zu sein. Die US-amerikanische Umweltbehörde EPA stellte im Januar 2016 fest, dass Imidacloprid, eines der meistgenutzten Insektizide, Bienen schaden kann. (Infosperber: «US-Umweltbehörde: Pestizide können Bienen schaden»). Um die gleiche Zeit klagte ein US-Wissenschaftler, der für eine US-Behörde an Neonics forschte und ihre Umweltverträglichkeit in Zweifel zog, wegen Unterdrückung seiner Forschungsergebnisse. (Infosperber: «US-Forscher klagt gegen Zensur der US-Agrarbehörde»).

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  • Über diese Recherchen der «New York Times» haben grosse Medien in der Schweiz ausser dem Tages-Anzeiger/Bund bisher nicht berichtet. Es folgt ein zweiter Teil: «Genveränderter Mais: Kein Verlass auf Agroscope»