Das Erbe sowjetischer Misswirtschaft und das Chaos der 1990er Jahre haben die Korruption in Russland explodieren lassen. Die Regierung greift seit einigen Jahren hart durch. Viele russische Korruptionsverdächtige haben jedoch Zuflucht im Ausland gefunden.


Rubel
© www.globallookpress.comWenn der Rubel rollt. Russlands mühsamer Kampf gegen die Korruption.
Der Narrativ, dass in der Russischen Föderation Korruption auf vielen Ebenen immer noch ein bedeutsamer Faktor ist, der die Potenziale des Landes an seiner vollen Entfaltung hindert, findet sich seit Jahr und Tag regelmäßig und bereitwillig in den westlichen Medien wieder. Der Eindruck, den er vermitteln soll, ist, dass die Regierung um Präsident Wladimir Putin das Problem nicht in den Griff bekommt oder gar selbst mit darin verstrickt ist.


Kommentar: Der letzte Sichtweise des Satzes ist natürlich völliger Humbug:

Was die Meinungsmacher dabei gerne vergessen ist, dass die Korruption in Russland und weiteren früheren Sowjetrepubliken zum einen ein Erbe aus der Sowjetunion ist, zum anderen aber erst in den 1990er Jahren regelrecht explodieren konnte, als an die Stelle einer ineffizienten Planwirtschaft der Versuch trat, westlich-liberale Rezepte mit der Brechstange zum Durchbruch zu verhelfen. Gangstermethoden im Zusammenhang mit der Privatisierung wichtiger Betriebe und der Kauf von Mandaten und Parlamentsabgeordneten waren an der Tagesordnung, insbesondere in der Regierungszeit des angeschlagenen Präsidenten Boris Jelzin.

Was den Kampf gegen die Korruption in Russland aber ebenfalls nicht einfacher macht ist, dass die Bereitschaft einiger ausländischer Staaten - zumeist westlicher - bei der Verfolgung entsprechender Straftaten mit Russland zusammenzuarbeiten, nicht in jedem Fall gewährleistet ist. Unter den passenden Umständen kann das westliche Ausland auch schon mal zum sicheren Zufluchtsort mutmaßlicher Wirtschaftskrimineller werden.

Ehemaliger Gouverneur soll Schmiergelder angenommen haben

Die Wahrscheinlichkeit, dass man als Korruptionsverdächtiger oder sonstiger White-Collar-Krimineller durch die Flucht in den Westen der russischen Justiz entgehen kann, steigt zumindest deutlich an, wenn mit der Verlagerung des Lebensmittelpunktes auch öffentlichkeitswirksame vorgetragene Kremlkritik einhergeht. Aber auch ohne diese Referenz kann es passieren, dass sich die Rechtshilfe aus nicht immer transparenten Gründen verzögert.

Einer der Abgängigen ist beispielsweise der frühere Gouverneur der Oblast Tscheljabinsk, Michail Jurewitsch. Die Staatsanwaltschaft in Jekaterinburg ermittelt gegen ihn, weil er als früherer Gouverneur in der nahe gelegenen Provinz Tscheljabinsk Schmiergelder im Gesamtumfang von 26 Millionen Rubel (etwa 408.800 Euro) angenommen haben soll.

Der zuständige Gerichtshof hat einen beantragten Haftbefehl abgelehnt, weil der zuständige Richter keine ausreichenden Haftgründe erkennen wollte. Die Ermittler haben Interpol um Unterstützung gebeten - und es ist durchaus bekannt, wo Jurewitsch sich im Moment aufhält. Vertreter des ehemaligen Gouverneurs haben bestätigt, dass dieser sich in London befindet. Dort hat er es nicht eilig, dem Vorladungsbefehl zur Beschuldigtenvernehmung Folge zu leisten.

Ein international bekannterer Fall ist jener des früheren Staatsduma-Abgeordneten Denis Woronenkow, der sich zusammen mit seiner Frau Maria Maksakowa, ebenfalls frühere Parlamentarierin, in die Ukraine abgesetzt hat.

Woronenkow spekulierte auf Kremlkritik-Bonus

Glaubt man den russischen Medien, war Woronenkow jahrelang als Stroh- und Mittelsmann in krumme Geschäfte verwickelt, sozusagen als Abwickler für hohe Kriminelle, die für die Sicherheitsbehörden zu auffällig wurden. Er war ein Hochstapler, Betrüger und Halbkrimineller, der über seine Verhältnisse gelebt und anscheinend auch Schulden angehäuft hatte. Sein Duma-Mandat erkaufte er sich einfach, denn die Abgeordneten-Immunität bot ihm Schutz vor gerichtlicher Verfolgung.

Während die Ukraine den Geflüchteten bereitwillig die Staatsbürgerschaft verlieh, als Woronenkow sich der Presse und der Politik als Kronzeuge gegen die "russische Aggression" zur Verfügung gestellt hatte, ermittelte in Moskau die Justiz gegen ihn. Sie verdächtigte Woronenkow, in einen Überfall auf ein Geschäftsgebäude in der Innenstadt involviert gewesen zu sein, bei dem fünf Millionen US-Dollar erbeutet worden sind.

Der Vorsitzende des russischen Ermittlungskomitees, Alexander Bastrykin, erklärte, Woronenkow sei geflohen, um der Strafverfolgung zu entgehen. Dieser selbst beklagte hingegen, Moskau sei eine "gemeine Stadt" - anders als Kiew mit seinen "freundlichen, guten, seelenvollen Menschen" - und sprach von einem illegalen Verfahren.


Kommentar: In Bezug auf die neue politische Elite ist Kiew mit Sicherheit kein "freundlicher, guter und seelenvoller" Ort.


Während Moskau einen internationalen Haftbefehl gegen ihn erwirkte, stellte Woronenkow sich sogar als Zeuge für den Hochverrats-Schauprozess gegen den aus dem Amt geputschten ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch zur Verfügung.

Die Ergebenheitsadressen an die Mächtigen in der postmaidanen Ukraine halfen ihm allerdings nicht viel. Am 23. März starb Woronenkow in Kiew, nachdem ein mutmaßlicher Laufbursche vor Ort auf ihn geschossen hatte. Der Tatverdächtige, der zuvor auch als Kämpfer in nationalistischen Bataillons tätig gewesen war, starb im Anschluss an die Tat nach einem Schusswechsel mit einem Wachmann.

Quicklebendig ist hingegen noch der frühere Duma-Abgeordnete Ilja Ponomarew, der ebenfalls als indirekter Adressat eines internationalen Haftbefehls in der Ukraine Zuflucht gefunden hat. Ihm wirft die russische Justiz vor, in einen Veruntreuungsskandal im Umfang von 22 Millionen Rubel (ca. 345.000 Euro) verwickelt zu sein, der die Vereinigung Skolkowo, eine international tätige Agentur für Innovation, Wirtschaft und Wissenschaft, betroffen haben soll.

Trotz Haftbefehls: Pugatschew genießt Pina Coladas an der Côte d'Azur

Ponomarew verließ Russland im Herbst 2014 und floh vor dem bevorstehenden Haftbefehl erst in die USA und später in die Ukraine. Er erklärt, er wäre bereit, nach Russland zurückzukehren und auszusagen, sofern der Haftbefehl fallengelassen und das geltende Ausreiseverbot aufgehoben würde.

Trotz eines aufrechten internationalen Haftbefehls, der sogar schon zu einer sogenannten Red Order mit unmittelbarer Verhaftungsbefugnis hochgestuft ist, lässt sich in Nizza der Gründer der Mezhprombank, Sergej Pugatschew, die Sonne der Côte d'Azur auf den Bauch scheinen. Die Bank soll in umfangreiche Geldwäschetransaktionen verwickelt gewesen sein und Geschäfte für den Jelzin-Clan im Ausland abgewickelt haben. Pugatschew soll in einen betrügerischen Bankrott der Bank im Jahr 2001 involviert gewesen sein.

Ein Diplomatenpass ermöglichte es ihm jedoch, nach Nizza zu fliegen und nicht mehr nach Russland zurückzukehren. Pugatschew soll auch einige Jahre in London gelebt haben. Eine Verhaftung steht bis heute noch aus.

Ehemaliger Finanzminister der Region Moskau soll 219 Millionen Euro veruntreut haben

Auch Alexej Kuznetsow, der frühere Finanzminister der Region Moskau, kann sich bald über den Eintritt der Verfolgungsverjährung im Zusammenhang mit den Veruntreuungsvorwürfen freuen, weswegen die russische Justiz ihn zur Rechenschaft ziehen möchte. Kuznetsow soll nicht weniger als 14 Milliarden Rubel (etwa 219,8 Millionen Euro) aus der Staatskasse mitgehen lassen haben. Zudem steht er im Verdacht, in Betrug, Veruntreuung und der rechtsmissbräuchlichen Legalisierung illegal angeeigneter Liegenschaften verwickelt zu sein. Die Tathandlungen sollen bis zum Jahr 2008 stattgefunden haben.

Anschließend haben Kuznetsow und seine Frau Jana Bullock sich in die USA abgesetzt. Drei mutmaßliche Komplizen des ehemaligen Ministers verbüßen in Russland bereits Haftstrafen. Kuznetsows Frau hält sich immer noch in den USA auf.

Was Kuznetsow selbst anbelangt, hat Moskau jedoch selbst eine Chance verstreichen lassen, den früheren Politiker anzuklagen. Französische Behörden hatten ihn 2015 festgenommen, ein Gericht die Auslieferung angeordnet. Da sich jedoch der Prozess in Russland verzögerte, hob ein Gericht in Lyon vor einem Monat den Hausarrest auf. Kuznetsow wird aber möglicherweise trotzdem vor Gericht kommen. Auch in Frankreich ermitteln die Strafverfolgungsbehörden gegen ihn wegen des Verdachts der Geldwäsche.