Militär in Paris
© Reuters
Das französische Parlament hat ein neues, umstrittenes Anti-Terror-Gesetz verabschiedet, das den bald auslaufenden zweijährigen Ausnahmezustand ersetzen wird. Die neue Gesetzgebung weckt Befürchtungen, bürgerliche Freiheiten könnten stark eingeschränkt werden.

Der französische Senat hat das neue Anti-Terror-Gesetz am Mittwoch in zweiter Lesung verabschiedet. Das neue Gesetz, das die Strafverfolgungsbefugnisse im Kampf gegen den Terrorismus stärken soll, fand die Unterstützung von 244 Senatoren bei nur 22 Gegenstimmen. Die Nationalversammlung hatte das Gesetz bereits Anfang Oktober mit überwältigender Mehrheit angenommen.

Frankreichs Regierung hat den Ausnahmezustand über das Land nach den tödlichen Terroranschlägen von Paris im Jahr 2015 zur Bekämpfung des Terrorismus verhängt und seither sechsmal verlängert. Er soll am 1. November endgültig auslaufen.

Zu den Kernpunkten der neuen Regelung gehört, dass Behörden ohne vorherigen richterlichen Beschluss Unterkünfte von Personen durchsuchen können, die terroristischer Verbindungen verdächtigt werden. Bis zu vier Stunden dürfen diese Menschen auch festgehalten werden. Daten, Gegenstände und Dokumente dürfen ebenfalls leichter beschlagnahmt werden. Behörden dürfen die Bewegungsfreiheit von Verdächtigen bis zur Dauer eines Jahres einschränken. Diese müssen sich so lange täglich bei der Polizei melden.

Macron fordert nationalen Anti-Radikalisierungsplan

Hochrangige Regionalbeamte erhalten zudem das Recht, Gotteshäuser bis zu sechs Monate zu schließen, wenn sie der Ansicht sind, dass Prediger zu Anschlägen aufrufen oder den Terrorismus verherrlichen. Dies kann ohne jeden von der Polizei erlangten harten Beweis geschehen. "Ideen und Theorien", die von den Anhängern der Prediger geteilt werden, reichen für eine solche Entscheidung schon aus.

Die Polizei hat künftig auch die Befugnis, Personen in gefährdeten Gebieten wie in Grenznähe, auf Bahnhöfen und Flughäfen anzuhalten und ohne weitere Begründung zu durchsuchen.


Im Vorfeld der Parlamentsabstimmung empfing der französische Präsident Emmanuel Macron im Élysée-Palast 500 Polizeibeamte, Gendarmen, Präfekten und andere Beamte. Macron verteidigte das neue Gesetz und diskutierte einen neuen landesweiten Anti-Radikalisierungsplan.
Die erste Aufgabe des Staates besteht darin, unsere Mitbürger zu schützen und die Sicherheit des staatlichen Territoriums zu gewährleisten. Wir müssen unsere Organisation, unser Handeln anpassen", sagte er.
Der Plan sieht unter anderem vor, 10.000 weitere Polizisten und Gendarmen einzustellen. Sie soll mit einer "für die Smartphone-Ära geeigneten Technik" ausgestattet werden. Außerdem soll es "strengere Maßnahmen zur effizienteren Abschiebung von Migranten ohne legalen Aufenthaltstitel" in Frankreich geben.
Wir begrüßen Menschen nicht gut. Unsere Verfahren dauern zu lang. Wir integrieren Menschen nicht richtig und schicken auch nicht genügend Leute zurück", sagte Macron den Polizeibeamten.
Das neue Anti-Terror-Gesetz hat wiederholt Besorgnis über Menschenrechtsfragen hervorgerufen. UN-Menschenrechtsexperten forderten Frankreich nachdrücklich dazu auf, "internationalen Menschenrechtsverpflichtungen nach[zu]kommen". Sie befürchten, dass der Gesetzentwurf "eine Reihe von Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten, die derzeit im französischen Ausnahmezustand gelten, in das allgemeine Recht aufnimmt".

"Institutioneller Rassismus gegen die arabisch-muslimische Gemeinschaft"

Auch wenn die Gewährung von weitreichenden Befugnissen der Polizei dazu beiträgt, einige Angriffe zu vereiteln, könnte sie Minderheiten, insbesondere arabische Muslime, entfremden und diese dadurch anfälliger für terroristische Propaganda machen, erklärte der politische Analyst Dan Glazebrook im Gespräch mit RT.

"Wenn die Polizei diese Vollmachten bekommt, wird sie Gemeinschaften diskriminieren, die bereits entfremdet sind. Auf diese Weise werden noch mehr potenzielle Rekruten in die Hände von dschihadistischen Todesschwadronen gedrückt", sagte Glazebrook und argumentierte, dass die französische Polizei ohnehin ein "ernsthaftes Problem mit institutionellem Rassismus und Brutalität gegen die arabisch-muslimische Gemeinschaft" hätte. Glazebrook erinnerte an das Pariser Massaker von 1961, als Dutzende Algerier während einer Demonstration gegen den Algerien-Krieg getötet wurden.

Der Schlüssel zur Verringerung der terroristischen Bedrohung ist die Bekämpfung der Ursachen und nicht die Folgen der islamistischen Gewalt, sagte Glazebrook und fügte hinzu:
Wenn man sich nicht mit den Ursachen auseinandersetzt, die einerseits in der brutalen Außenpolitik und andererseits in der Entfremdung ganzer Gemeinschaften aufgrund von institutioneller Diskriminierung und Rassismus des Systems begründet sind, wird selbst der bösartigste Polizeistaat nicht verhindern können, dass es einige Leute gibt, die sich zum Gegenschlag entschließen.
"Man kann nicht eine fast koloniale kriegstreibende Macht wie Frankreich sein und erwarten, dauerhaft immun gegen solche Rückschläge und die Folgen davon zu bleiben", sagte Glazebrook und bezog sich dabei auf Frankreichs Engagement in Westafrika, Libyen und Syrien.

Die Bestimmungen des neuen Anti-Terrorgesetzes können Razzien ermöglichen, die sich letztlich gegen alle vom Mainstream abweichenden Meinungen richten. Auf diese Weise könnten Zivilfreiheiten deutlich erodieren, erklärte die ehemalige britische Geheimdienstoffizierin Annie Machon gegenüber RT.
Was ist Radikalisierung? Gegenwärtig ist natürlich jeder in Frankreich auf das Konzept der islamischen Radikalisierung fokussiert, aber was ist, wenn sich dieser Begriff verbreitet, wenn sich das auf andere politische Meinungen ausweitet, so dass jemand, der gegen die Regierung protestiert, als radikal gilt und deshalb verhaftet wird?", sagte Machon.
Sie bemerkte, dass französische Öko-Aktivisten früher unter ähnlichen Vorwänden vom Staat ins Visier genommen wurden.