Seit Jahren quälen Skandale über sexuellen Missbrauch von Kindern die Briten. Ein Prozess im nordenglischen Rotherham reißt alte Wunden auf. Hat falschverstandene "politische Korrektheit" dazu geführt, dass die Behörden wegsahen?

Kindesmissbrauch
© Alfonso Cacciola/Getty Images
Das nordenglische Rotherham ist zum Inbegriff von Kindesmissbrauch im Vereinigten Königreich geworden. Sechs Männer und zwei Frauen stehen wegen sexueller Ausbeutung von Kindern vor Gericht.

Der Prozess, der mindestens sieben Wochen dauern soll, begann schleppend am Montag. Es ging zunächst um Verfahrensfragen, die Stunden in Anspruch nahmen.

Doch was in den nächsten Wochen und Monaten zum Vorschein kommen soll, dürfte nicht nur für die Opfer zu einem schmerzhaften Prozess werden.

Die Vorwürfe sind heftig: 1.400 Kinder und Jugendliche sollen zu Opfer von Vergewaltigern und Schleusern geworden sein - so zumindest ein unabhängiger Bericht der Professorin Alexis Jay.

Doch es sind nicht nur die Zahlen, die schockieren.

Es sind die Taten, die abstoßen: Eine Bande von Männern mit Wurzeln in Pakistan soll jungen Mädchen, meist aus extrem sozialschwachen Verhältnissen, als billige Prostituierte missbraucht haben.

Elfjährige Kinder seien mit Schnaps und billigen Geschenken gefügig gemacht worden, betrunkene Erwachsene dann über sie hergefallen.

Wenn die Köder nicht reichten, hätten die Täter zu Gewalt gegriffen. Im dem Bericht von Professor Jay wird ein Fall aufgelistet, in dem ein Mädchen mit Benzin überschüttet wurde und bei einer Vergewaltigung zusehen musste, um zum Schweigen gebracht zu werden.

"Halte den Mund, sonst bist du dran", lautete die Mahnung.

Weggeschaut aus politischer Korrektheit?

Die acht Angeklagten, die jetzt in Sheffield, vor dem Richter stehen, streiten alles ab. Bei dem Prozess geht es um 74 Anklagepunkte, bei denen 14 Mädchen und junge Frauen die Opfer gewesen sein sollen.

Der Prozess dürfte lang und schwierig werden.

Doch das wirklich Erschreckende ist, dass die Behörden in Rotherham jahrelang weggeschaut haben sollen. Klagen von Opfern wurden offenbar nicht ernst genommen - auch eine falsch verstandene "politische Korrektheit" spielte dabei wohl eine Rolle.

Immer wieder war zu hören, unter den Peinigen der Mädchen seien zum großen Teil Männer, die aus Pakistan stammten.

Tatsächlich tragen sieben der Angeklagten keinen englischen Namen, sondern Namen, die eher dem Nahen und Mittleren Osten zuzuordnen sind.

In dem unabhängigen Bericht von Jay heißt es denn vielsagend, es herrsche der Eindruck vor, dass Polizei und Behörden die Fälle "die ethnische Dimension der sexuellen Ausbeutung von Kindern 'heruntergespielt'" hätten.

Weiter heißt es: Ermittler und Sozialarbeiter vor Ort seien im Unklaren gewesen, "was sie sagen und tun sollten, und was als 'rassistisch' interpretiert werden könnte".

"Rotherham ist kein Einzelfall"

Im Klartext: Wegschauen, weil es sich bei den Peinigern um Einwanderer handelte?

Zudem, so ein weiterer Kritikpunkt des Berichtes, hätten auch lokale Imame und andere Vertreter der pakistanischen Gemeinde nicht gerade alarmiert reagiert.

Rotherham ist nur ein Mosaikstein im großen britischen Missbrauchs-Puzzle, meinen Fachleute und Medien.

Seit Jahren kommen immer wieder quälende Enthüllungen an den Tag.

Mal geht es um Kindesmissbrauch bei der BBC, Leichenschändung in staatlichen Krankenhäusern, Affären mit Jugendlichen unter Parlamentariern in Westminster, um systematischen Missbrauch in Kinderheimen in Wales, Hunderte geschändete Heimkinder in Nordirland.

Die Liste ist lang.

"Rotherham ist keinesfalls ein Einzelfall", sagte der Chef der Selbsthilfeorganisation National Association for People Abused in Childhood, Peter Saunders, bereits vor einiger Zeit.

dpa