Eine neue biochemische Methode namens «Gene Drive» kann das Erbgut ganzer Arten verändern. Forscher wollen damit Krankheiten wie Malaria oder Dengue ausrotten. Doch ist das ethisch vertretbar?
asiatische Tigermücke
© Valery Hache (AFP)Die asiatische Tigermücke ist ein heimtückischer Krankheitsüberträger. Mit neuem Erbgut könnte sie zur harmlosen Nervensäge werden.
Was wäre, wenn es in fünf Jahren die Möglichkeit gäbe, Malaria ein für alle Mal auszurotten? Wenn es gelänge, Krankheiten wie Dengue-, Zika- oder Gelbfieber dramatisch einzudämmen? Was wäre, wenn die Menschen in nur fünf Jahren anfangen könnten, auf Pestizide zu verzichten und viele vom Aussterben bedrohte Arten zu retten?

Das sind keine fantastischen Träume, sondern ernst gemeinte Prognosen des Biochemikers Kevin Esvelt, der an den amerikanischen Elite-Universitäten Harvard und MIT arbeitet. Esvelt ist Mitentdecker einer Technologie, die all dies möglich machen soll: des «Gene Drive», zu Deutsch etwa «genetischer Antrieb» oder «Schwung». «Es unterscheidet sich fundamental von allen Methoden, über die wir heute verfügen. Gene Drives können Ökosysteme neu gestalten», sagt Esvelt. «Unsere Gesellschaft war noch nie mit einer Technologie konfrontiert, die in so einem Masse alle und jeden betrifft.» Es sei eine Methode, mit der Menschen sogar die Evolution steuern könnten - indem sie die aus dem Biologieunterricht bekannten mendelschen Vererbungsgesetze aushebeln.

Mendels Lehre zufolge erhalten die Nachkommen von Lebewesen, die sich sexuell vermehren, üblicherweise einen Chromosomensatz vom Vater und einen von der Mutter. Beide Sätze enthalten Pläne für die gleichen Bausteine, zum Beispiel für die Augenfarbe - jedoch in unterschiedlichen Varianten. Je nachdem, welche Varianten in der befruchteten Eizelle zusammenkommen, wird mal das Merkmal der Mutter, mal das vom Vater und manchmal auch eines der Grosseltern vererbt.

Vererbung nach Wunsch

Beim synthetischen Gene Drive ist das anders. Die Methode verleiht manipulierten Genen eine Art Vererbungs-Turbo. Daher tragen nahezu alle Nachkommen nur eine, die gewünschte Variante eines Gens. Dasselbe gilt für alle folgenden Generationen und daher früher oder später für die gesamte Population. Einige Hundert mit Gene Drive veränderte Mücken würden beispielsweise ausreichen, innerhalb weniger Monate ein ganzes Moskitovolk zu verändern, zum Beispiel in der Umgebung eines afrikanischen Dorfs. Das ist der Unterschied zu Methoden wie der Ausbringung von bestrahlten, sterilen Insekten oder anderweitig genmanipulierten Moskitos, die regelmässig und in riesigen Mengen freigesetzt werden müssen, damit sie den Genpool ihrer Population beeinflussen.


Möglich gemacht hat die eigenständige Verbreitung von Genen durch Gene Drive das die Biochemie derzeit revolutionierende Genome Editing mit Crispr/Cas 9, das Abschnitte im Genom präzise zerschneidet und ersetzt. Forscher verändern - editieren - nun gezielt Genabschnitte in Spermien oder Eizellen und bauen das Crispr/Cas-9-System gleich mit ein. Das Werkzeug wird sozusagen dazugelegt wie der Hammer zum Nagel. Wird die Eizelle befruchtet, schneidet das Cas-9-Protein dann die unerwünschte Genvariante auch aus dem zweiten, hinzugekommenen Chromosom heraus - der Hammer schlägt einen zweiten Nagel ein. Der Reparaturmechanismus der Zelle füllt die Lücke und kopiert dabei das manipulierte Gen. Das Ergebnis: zwei Kopien des veränderten Gens, die jetzt an alle Nachkommen dieses Lebewesens weitergegeben werden. Und jedes Mal, wenn eine andere Genvariante bei der Befruchtung dazukommt, wird sie entfernt.

Atemberaubendes Tempo

Die Idee des Gene Drive existiert seit Jahrzehnten, doch es fehlte das passende Werkzeug, das es nun mit dem Crispr-System gibt. Und ähnlich wie bei anderen Crispr-Anwendungen entwickelt sich auch die Forschung an Gene Drive in atemberaubendem Tempo. Im Juli 2014 schlugen Kevin Esvelt und einige Harvard-Kollegen erstmals vor, Crispr zu benutzen. Acht Monate später setzten zwei Biologen aus Kalifornien dies an Fruchtfliegen um. Im Dezember 2015 und im Januar dieses Jahres folgten zwei Forschergruppen der Universität von Kalifornien und des Londoner Imperial College jeweils mit manipulierten Anopheles-Mücken, den Überträgern von Malaria.

Die Kalifornier um Anthony James schufen dabei Moskitos, die keine Malaria-Erreger mehr übertragen. In Grossbritannien haben Wissenschaftler um Austin Burt und Andrea Crisanti Anopheles-Varianten entwickelt, die erheblich weniger Nachkommen produzieren.

Längst ist das Rennen eröffnet, wer den ersten synthetischen Gen Drive in Aedes aegypti und Aedes albopictus etabliert, den Tigermücken, die nicht nur Zika, sondern auch die epidemiologisch viel bedeutsameren Krankheiten Gelbfieber, Dengue oder Chikungunya übertragen. «Wir könnten in zwölf Monaten die ersten Aedes mit Gene Drive haben», sagt Anthony James. «Allerdings müsste damit zuerst im Labor experimentiert werden.»

Mücken sind jedoch nicht die einzigen Lebewesen im Visier der Genforscher. «Ich bin mir sicher, dass sich mit dieser Methode ein Gene Drive in so ziemlich jede Art einpflanzen lässt», sagt Kevin Esvelt. «Bei langen Generationszeiten, wie sie der Mensch oder der Elefanten haben, macht es überhaupt keinen Sinn. Aber sonst?» Mäuse und Ratten seien vermutlich kein Problem. Erst kürzlich hat Esvelt mit Kollegen aus Australien über Möglichkeiten der Ausrottung der Aga-Kröten gesprochen, die als eingeschleppte Spezies die Tierwelt auf dem fünften Kontinent bedrohen.

Die Liste lässt sich beliebig verlängern. Invasive Arten, zu denen auch die Aedes-Moskitos in weiten Teilen der Welt gehören, sorgen vielerorts für Probleme. Landwirtschaftsschädlinge wie Kohlmotten, Oliven- oder Kirschessigfliegen verursachen Kosten in Milliardenhöhe und entwickeln regelmässig Resistenzen gegen bisherige Bekämpfungsmassnahmen.

Bienen wiederum könnten molekularbiologische Unterstützung gebrauchen, um sich gegen Milbenbefall und Umweltgifte zu wehren. Für jede dieser Aufgaben liesse sich eine massgeschneiderte Gene-Drive-Lösung basteln, die manche Lebewesen sterben lässt, anderen gewisse Eigenschaften nimmt oder gibt. Nicht ohne Grund hat Kevin Esvelt seiner frisch gegründeten Arbeitsgruppe am MIT den Namen «Sculpting Evolution», also «die Evolution formen», gegeben.

Wo liegt die Grenze?

Aber was wäre, wenn genmanipulierte Lebewesen weitermutieren zu einer unerwünschten Variante - und sich unkontrolliert vermehren? Was, wenn die veränderten Gene auf andere Arten übergehen? Was ist, wenn die Reduktion einzelner Spezies unvorhergesehene Folgen für ein Ökosystem hat? Oder Terroristen die Technologie für die Verbreitung von Krankheitserregern nutzen?


«Das ist genau der Grund, warum wir jetzt anfangen sollten zu diskutieren», sagt Kevin Esvelt. «Wir müssen überlegen, für welchen Nutzen wir welche Risiken eingehen wollen.» Der Biochemiker befürchtet, ein einziger Fehltritt in einem Labor irgendwo auf der Welt könne verheerende Auswirkungen auf das Vertrauensverhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft haben.


Viele Bedenken sind gerechtfertigt. Dass unterschiedliche Arten Gene austauschen können, ist in einigen Fällen belegt. Was mit den Gene Drives passieren würde, kann niemand vorhersagen. «Das Problem kann aber umgangen werden, wenn man den Gene Drive beispielsweise auf moskitospezifische Gene beschränkt», glaubt Anthony James von der University of California.

Die Terrorismusgefahr halten indes viele Wissenschaftler für übertrieben, weil der Aufwand einfach zu hoch wäre. Dennoch haben sich das FBI, das Pentagon und das Büro der Vereinten Nationen für biologische Waffen bereits mit der Technologie befasst.

Ein weiteres grosses Fragezeichen steht hinter den möglichen ökologischen Konsequenzen einer Freisetzung von Gene-Drive-Insekten. Was wäre es wert, jedes Jahr einer Dreiviertelmillion Menschen das Leben zu retten, die sonst den durch Mücken übertragenen Krankheitserregern zum Opfer fallen würden? Können dafür ein paar Spinnen oder Vögel geopfert werden? Wo liegt die Grenze?