Im Osten Indiens trafen Blitze in nur zwei Tagen fast 100 Menschen, Bangladesch zählt seit Jahresbeginn 261 Todesfälle durch Gewitter. Das könnte mit dem Klimawandel zu tun haben - aber auch Armut spielt eine Rolle.

Blitz
© dpaSymbolbild
Anfangs war es herrlich, der Regen prasselte vom Himmel, und Anjana Devi stand mit ihren Töchtern auf der offenen Terrasse. Sie genossen das Wetter. Nach der quälenden Dürre fiel das Wasser wie ein Segen vom Himmel. Der Monsun, der jedes Jahr im Juni über den ausgedörrten indischen Subkontinent zieht, spendet Leben - aber manchmal nimmt er es auch. Vor allem, wenn sich heftige Gewitter während der Starkregen entladen.

So war es auch am Tag, als der Blitz in die Veranda der Familie Devi einschlug. Die 57-jährige Mutter kam leicht verletzt davon, berichtet die Hindustan Times. Ebenso die kleinere Tochter Sweety. Aber die zehnjährige Ruchi hat den Schlag nicht überlebt. Nahezu stündlich meldeten lokale Medien in dieser Woche ähnliche Fälle. Allein in zwei Tagen haben Blitze im Osten Indiens 93 Menschen erschlagen. In Bangladesch ist die Lage ähnlich, dort starben seit Jahresbeginn 261 Menschen.

Die Bauern müssen während des Monsuns aufs Feld - auch wenn es dort lebensgefährlich ist

Während des Monsuns häufen sich die Gewitter, weil Wind, Hitze und Feuchtigkeit zusammenkommen. Die Bewohner des Subkontinents wissen um die Gefahr schon seit Jahrhunderten. Aber so viele Opfer in so kurzer Zeit? Die Blitze und die Toten beschäftigen auch die Wissenschaft. Eine Studie der University of California in Berkeley stellte 2014 für die USA eine Verbindung zwischen steigenden Temperaturen in der Atmosphäre und der Häufigkeit von Blitzschlägen her. "Mit zunehmender Wärme steigt die Sturmenergie, sie werden explosiver", erklärt der Leiter der Studie, David Romps. Für die Vereinigten Staaten bedeutet dies, dass die Zahl der Blitze nach den Modellrechnungen mit jedem zusätzlichen Grad Celsius um zwölf Prozent zunehmen wird.

Indiens Statistiken zeigen, dass Blitze im Jahr 2014 weit mehr Menschen getötet haben als jedes anderes Naturereignis, also Überschwemmungen, Stürme, Erdrutsche, Kälteeinbrüche in den Bergen oder Hitzewellen vor dem Monsun. Seit dem Jahr 2005 registrierten die Behörden mehr als 2000 Tote durch Blitze jährlich. Zuletzt scheint diese Zahl angestiegen zu sein, aber ein eindeutiger Trend ist das noch nicht. Meteorologen in Südasien weisen darauf hin, dass ein möglicher Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und der Blitzhäufigkeit in der Region noch unzureichend untersucht sei.

Auch andere Faktoren spielen eine Rolle, wenn es darum geht, das Risiko von Blitzschlägen abzuschätzen. Zum einen gibt es schlicht mehr Menschen, zum anderen weisen Ökologen auf Veränderungen der Landschaft hin, die die Gefahr erhöhen. So gibt es in Indien wegen massiver Abholzung heute viel weniger große Bäume. Früher sah man sie brennen, wenn ein Blitz einschlug. Wenn sie fehlen, steigt die Gefahr für die Arbeiter im Freien.

Häufig fehlt den Arbeitern ein sicherer Unterschlupf

Bauern haben oft keine Wahl, sie müssen während des Monsuns auf die Felder, auch wenn es dort lebensgefährlich ist. Der Meteorologe Ronald Holle, der die Umstände von 969 tödlichen Blitzeinschlägen in zehn asiatischen Ländern untersucht hat, belegt mit seinen Ergebnissen sehr deutlich: Ganz überwiegend sterben Bauern, die auf großen flachen Feldern arbeiten. Nicht selten steht das Land unter Wasser. In den meisten Fällen fehlt den Leuten ein sicherer Unterschlupf, der schnell erreichbar wäre.

Rakhesh Kumar Singh, Funktionär eines Bauernverbandes im indischen Bundesstaat Bihar, hatte Glück, dass er in einem Auto saß, als ihn vor einigen Tagen ein Unwetter überfiel. Plötzlich wurde alles finster um ihn herum, dann schlug auch schon ein mächtiger Blitz in einen Baum neben der Straße und setzte ihn in Brand. Für Singh sah es so aus, als wären zwei Meteoriten am Himmel kollidiert, so grell war das Licht. "Ich musste die Hände vors Gesicht halten", erzählte er in den Medien. Dass er in einem Auto saß, rettete ihm wahrscheinlich das Leben.

Videoaufnahmen aus Bihar zeigen einen Mann, der gerade wieder zu Bewusstsein gekommen ist. Helfer hatten ihn ins Krankenhaus getragen. "Als es zu regnen begann, suchten wir schnell einen Unterschlupf", erzählt er. "Dann verstanden wir nicht, was passierte. Wir wurden bewusstlos." Erst als er wieder erwachte, wurde ihm klar, dass es ein Blitz gewesen sein musste. Viele Bauern haben jetzt Angst. Der Staat zahlt Entschädigungen an betroffene Familien, in Indien sollen sie bis zu 5100 Euro bekommen, in Bangladesch sind die Summen niedriger. Die Länder arbeiten daran, ihre Sturmwarnsysteme zu verbessern, um Gefahren früher melden zu können. Doch exakt vorherzusagen, wo und wann ein Blitz einschlagen könnte, ist nicht möglich. So gleicht die Arbeit auf den indischen Feldern einer tödlichen Lotterie. Jeden kann es treffen.