Berlin. Zwei Kinder pro Schulklasse sind im Schnitt Opfer von sexueller Gewalt. Experten und Betroffene fordern, dass an Schulen nicht mehr geschwiegen wird.
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© Julian Stratenschulte / dpa (Archivbild)Experten und Betroffene gehen davon aus, dass zwei Kinder pro Schulklasse von sexueller Gewalt betroffen sind.
Catharina Beuster wurde in der Schule Opfer sexuellen Missbrauchs. Bis heute erschüttere und empöre sie die "stumme Hilflosigkeit", die ihr als kleines Mädchen von Lehrern entgegenschlug. Als Erwachsene, Erziehungswissenschaftlerin und Mitglied im Betroffenenrat des Unabhängigen Missbrauchsbeauftragen Johannes-Wilhelm Rörig will sie dafür sorgen, dass sich etwas ändert. Gemeinsam mit Catharina Beuster und den Bildungsgewerkschaften präsentierte Rörig am Dienstag in Berlin die Initiative "Schule gegen sexuelle Gewalt". Sie soll Pädagogen dazu bewegen, genauer hinzuschauen, nachzufragen, Schutzkonzepte zu entwickeln.

Übergriffe an Schulen und in der Familie

"An Deutschlands Schulen soll zu sexueller Gewalt nicht mehr geschwiegen werden", sagte Rörig. Der Missbrauchsbeauftragte nannte schockierende Zahlen. "Wir müssen davon ausgehen, dass in jeder Schulklasse mindestens ein bis zwei Mädchen und Jungen sind, die von sexueller Gewalt betroffen sind", sagte er. Dabei geht es nicht nur um Missbrauch in der Schule selbst, sondern auch um sexuelle Gewalt in der Familie, wo laut Rörig nach wie vor die meisten Übergriffe erfolgen.

Beuster schildert es so: "Wenn eine Schülerin im Sommer im Rollkragenpullover zur Schule kommt, macht sie das vielleicht auch, um die Knutschflecke vom Täter zu verstecken." Wenn eine Schülerin mit einem Lehrer in der Pause hinter verschlossener Tür verschwinde, brauche es einer Lehrerin, die die Tür aufmacht, sagte Beuster. Sie appellierte an Pädagogen sich Rat zu suchen - bei Beratungsstellen, Experten oder einem Hilfetelefon. Sie seien in der Verantwortung, Missbrauch zu erkennen und zu durchbrechen. Rörigs Initiative, für die er alle 16 Kultusministerien der Länder und auch die freien Schulträger gewonnen hat, soll dafür sorgen, dass Lehrer an allen mehr als 30.000 Schulen bundesweit zumindest mit Informationsmaterial ausgestattet sind.

Länder sollen Mittel zur Verfügung stellen

Den offiziellen Start der Kampagne macht Nordrhein-Westfalen am 19. September. Dort soll dann an jede Schule eine Info-Mappe versendet werden. Geplant sind zudem landesweit fünf Konferenzen. Bis spätestens Ende 2018 sollen alle weiteren Bundesländer folgen. Rörig sagte, er gehe davon aus, dass noch in diesem Jahr drei weitere Länder dazukommen und bis Mitte 2017 sich die Hälfte der Initiative angeschlossen hat. Ziel sei es, Pädagogen in die Lage zu versetzen, dass sie Vorsorge treffen und im Verdachtsfall richtig handeln können.

 Missbrauchsbeauftragter Johannes-Wilhelm Rörig
© imagoDer Missbrauchsbeauftragte Johannes-Wilhelm Rörig kritisiert die unzureichende Ausstattung von Beratungsstellen.
Informationen finden Schulen auf der Internetseite "www.schule-gegen-sexuelle-gewalt.de" Die Betroffene Catharina Beuster machte aber auch auf das Dauerproblem der unzureichenden Ausstattung von Beratungsstellen aufmerksam. Rörig sagte, er habe die Länder erneut im Frühsommer dazu aufgefordert, mehr Mittel zur Verfügung zu stellen. Die Stellen seien nach wie vor finanziell und personell unzureichend ausgestattet.

Schulpsychologen sind Mangelware

Die Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marlis Tepe, beklagte zudem, es fehlten Schulpsychologen und Schulsozialarbeiter. Sie ausreichend einzustellen, würde aber teuer: Ein Psychologe pro 5.000 Schüler würde die Länder insgesamt 23 Millionen Euro und ein Sozialarbeiter auf 150 Schüler sogar 2,3 Milliarden Euro kosten, rechnete Tepe vor.

(epd)