Einige Menschen erleben ein Hochgefühl, wenn sie sich Liedern voller Seelenschmerz hingeben. Forscher unterzogen sie einem psychologischen Charaktertest - und fanden vor allem eine Auffälligkeit.
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Während manche Menschen sich in ihrer Freizeit lieber mit den Wildecker Herzbuben oder Helene Fischer beschallen lassen, bevorzugen andere eher Beethovens „Mondscheinsonate“ oder Balladen von Nick Cave. Ein finnischer Musikwissenschaftler wollte die Ursachen für derart verschiedene Vorlieben ergründen und kam zu einem erstaunlichen Ergebnis: Unser Geschmack hängt stark vom Empathievermögen ab.
Lieder, die von Trauer und Verlust geprägt sind, scheinen ein paradoxes Phänomen hervorzurufen: Im Alltag versuchen wir, negativen Einflüssen und Empfindungen aus dem Weg zu gehen. Doch daheim vor der Stereoanlage genießen oder zelebrieren einige Menschen gar düstere und bedrückende Stimmungen.
Lange haben Forscher untersucht, welche Charaktereigenschaften zu welchen Vorlieben für unterschiedliche Musikstile führen würden. Gezeigt wurde, dass weltoffene Menschen musikalische Raffiniertheit mögen, während Regeln und feste Muster bevorzugende Menschen lieber Punk und Rock hören. Beim Thema traurige Musik zeichnen sich allerdings andere Zuordnungen ab.
Traurige Klänge wirken unterschiedlichDie Wirkung schwermütiger Melodien variiert bei verschiedenen Menschen: Manche fühlen sich an persönliche Niederlagen erinnert, beziehen die Klänge auf eigene negative Erfahrungen. Andere wiederum geraten in eine melancholische Stimmung, wie sie an einem einsamen verregneten Herbsttag auftreten kann. Beide Effekte dürften nicht dazu führen, getragene Stücke zu mögen.
Die interessanteste Erfahrung fanden die Wissenschaftler bei Menschen, bei denen die Lieder ein schwer zu beschreibendes Gefühl der Bewegtheit auslösten. Die Teilnehmer früherer Studien sprachen von intensiven und angenehmen Gefühlen. Nicht jeder scheint jedoch diese Erfahrungen machen zu können, sodass sich die Frage stellte: Wer erlebt genussvolle Momente bei finsteren Klängen?
Um dies zu testen, startete eine Forschergruppe um den Finnen Professor Tuomas Eerola an der britischen Durham-Universität ein Hörexperiment mit 102 Probanden. Vorgespielt wurde ihnen ein kurzes Instrumentalstück von Michael Kamen, das in der Serie
Band of Brothers als Filmmusik eingesetzt wurde. Das Stück ist kaum bekannt, sodass niemand der Hörer mit den Klängen eine bereits bestehende Assoziation abrufen konnte. Einzig die Musik sollte als Reiz die Versuchsteilnehmer stimulieren.
Empathie ist der SchlüsselDie beschriebenen Erfahrungen hatten eine große Bandbreite: Manche Teilnehmer entspannten sich oder waren gerührt, andere fühlten sich verängstigt oder nervös. Ein bemerkenswerter Zusammenhang zeigt sich bei Menschen, die von der Musik gerührt waren - sie wurden nach einem psychologischen Charaktertest auch als sehr empathisch eingestuft. Menschen, die andersherum die Musik nicht bewegte, hatten auch kaum empathische Fähigkeiten.
Des Weiteren fanden die Forscher, dass neben der Empathie auch die Fähigkeit, sich diesbezüglich selbst zu steuern und von den Einflüssen zu distanzieren, ein Schlüssel zur Freude an traurigen Klängen ist. Psychologen nennen diese besondere Eigenschaft emotionale Empathie. Sie beschreibt nicht nur, ähnliche Gefühle einer anderen Person spüren zu können, sondern darüber hinaus auch ein tiefes Mitgefühl, Zärtlichkeit und Sympathie für den anderen zu entwickeln.
Die Studie ergab, etwas allgemeiner formuliert, dass Freude an Musik mit der Wahrnehmung der sozialen Umgebung verknüpft sein kann. Wer sensibel genug ist, das Leid einer anderen Person selbst zu spüren - und dies geschieht im übertragenen Sinn mit der Musik - , erfährt dadurch eine gewisse Form erbauender Genugtuung.
Wie ein großes TränenvergießenMöglicherweise ist dafür ein biochemischer Prozess verantwortlich, der ähnlich bei der Erleichterung nach dem Weinen abläuft. Eine jüngere Theorie besagt, dass selbst eine imaginierte traurige Situation ausreicht, um endokrine Prozesse zur Linderung des Leids in Gang zu setzen.
Hormone wie Oxytocin oder Prolactin sind beispielsweise dafür bekannt, wohlige und angenehme Gefühle hervorzurufen. Auch traurige Musik könnte die Ausschüttung der Signalsubstanzen triggern.
Denkbar ist auch ein rein psychologischer Effekt, bei dem das Ausleben sämtlicher emotionaler Zustände wie ein Training der Gefühlswelt wirkt und von Natur aus belohnt wird. Denn die Fähigkeit, in die emotionalen Welten anderer eintauchen zu können, dürfte für soziale Wesen elementar von Vorteil sein - und verdient damit aus evolutionsbiologischer Sicht eine Belohnung.
Musik als Empathieverstärker?Für die Wissenschaftler ergibt sich die Frage, ob bei einer notwendigen Empathie zum Genuss trauriger Musik nicht im Umkehrschluss Musik die Fähigkeit zur Empathie verstärken kann. Genaue Erkenntnisse gibt es dazu bislang noch nicht. Nichtsdestotrotz wird Musiktherapie eingesetzt, um Depressiven, emotional Gestörten oder Menschen mit geringem Selbstwertgefühl zu helfen.
Wenn die emotionalen Veränderungen, ausgelöst durch traurige Musik, genauer verstanden werden, könnte dies auch bei der Behandlung von Menschen mit emotionalen Störungen helfen. Nach Ansicht der Studienautoren ist das musikalische Abtauchen in eine Welt voller Leid und Trostlosigkeit vielleicht genau das, was unser Bewusstsein gelegentlich braucht und verlangt, um sich zu stabilisieren.
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