In einem Offenen Brief wendet sich der emeritierte Professor für Politik und Wirtschaft Dr. Mohssen Massarrat an die Programmdirektionen der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten. Über einen saudischen Angriff auf eine jemenitische Hochzeitsgesellschaft hat keiner der Sender berichtet. Gab es Absprachen? Das Schreiben im Wortlaut.
Saudi Arabien
© Reuters
Im Gespräch mit RT Deutsch erklärte Prof. Dr. Massarrat, auch zwei Tage nach Erstveröffentlichung seines Briefes weder von ARD noch ZDF eine Antwort erhalten zu haben. Der Friedensforscher hoffe aber, dass sich sein Schreiben weiter verbreitet, so dass die Verantwortlichen auf eine Reaktion nicht verzichten können. Als ständiger Beobachter und Analyst von Konflikten in aller Welt, nehme der emeritierte Professor immer wieder Nachrichtenunterdrückungen in den öffentlich-rechtlichen Medien wahr: „Das geschieht permanent“.

Bisher hatte Dr. Massarrat noch keine Programmbeschwerde veröffentlicht, der konkrete Fall ließ ihm allerdings keine Wahl. Zahlreiche Leser des Offenen Briefes reagierten mit Zuspruch, einige wiesen darauf hin, es habe in einer der Nachrichtensendungen einen kleinen Kurzbeitrag zu dem Bombenangriff gegeben.
An den ARD-Programmdirektor, Herrn Reinold Becker und

ZDF-Programmdirektor, Herrn Dr. Norbert Himmler

Sehr geehrte Herren,

Am Sonntag, dem 9. Oktober 2016, berichtete der Fernsehsender Euronews von der Bombardierung einer Trauerfeier in Jemen am Tage zuvor, bei der mindestens 140 Menschen ihr Leben verloren haben. Mit Empörung musste ich feststellen, dass Ihre Sender, also ARD und ZDF, bei keiner der Nachrichtensendungen am gestrigen Sonntag und soweit ich verfolgen konnte, auch bis heute nicht von diesem Ereignis, das zweifelsohne einem schlimmen Kriegsverbrechen gleichkommt, berichtet haben.

Als Bürger dieses Landes bin ich maßlos darüber empört, dass die 140 Opfer der jemenitischen Zivilbevölkerung der ARD und dem ZDF nicht einmal eine Nachricht Wert waren, geschweige denn ausführlicher Berichte über den Hergang des Bombardements und über mögliche Verantwortliche für dieses Verbrechen, die dem Haager Gerichtshof zu überantworten wären.

Ich bin der Meinung, dass beide Einrichtungen ihren Auftrag als öffentlich-rechtliche Sender bei der Unterlassung dieser für die deutsche Öffentlichkeit so wichtigen Nachricht ihre Informationspflicht massiv verletzt haben. Ich bin mir völlig im Klaren, dass dabei Ihre Sender auch gegen ihre Neutralitätspflicht verstoßen haben, da der Verdacht naheliegt, dadurch Geschäftsbeziehungen mit Saudi-Arabien, dem Land, das aller Wahrscheinlichkeit nach für das Verbrechen verantwortlich ist, nicht schädigen zu wollen. Dabei gilt auch zu berücksichtigen, dass über das Kriegsverbrechen gegen die UN-Hilfskovois, das der syrisch-russischen Allianz zugeschrieben wurde, Ihre Sender tagelang ausführlichst berichtet haben.


Ihre systematische Unterschlagung der Tötung Unschuldiger im Jemen bereitet mir, und ich bin sicher auch Millionen anderen Menschen, sehr geehrte Herren Programmdirektoren von ARD und ZDF, auch große Sorgen um die Pressefreiheit in unserem Land, da in dieser Sache zwischen beiden Sendern ein einheitliches Verhalten an den Tag gelegt worden ist. Es stellen sich in diesem Zusammenhang wichtige Fragen:

Wie konnte es überhaupt zu diesem einheitlichen Verhalten kommen? Ein Zufall muss jedenfalls angesichts des gleichartigen Vorgehens über beinahe zwei Tage ausgeschlossen werden. Gab es, so muss des Weiteren gefragt werden, Absprachen zwischen beiden Sendern, Meldungen über Kriegsverbrechen im Jemen zu zensieren? Es stellt sich ferner auch die Frage, ob womöglich bereits eine Art Clearingstelle oberhalb beider Sender für die Zensur missliebiger Nachrichten existiert.

Eine solche Institution würde jedoch die Verfassung verletzen und die Meinungs- und Pressefreiheit massiv beeinträchtigen. Die Schaffung von zwei öffentlich-rechtlichen Sendern sollte ausdrücklich für Meinungs- und Informationsvielfalt sorgen und nicht dafür, dass sich beide Anstalten untereinander absprechen oder durch eine übergeordnete Stelle zur Verbreitung genehmer und Unterschlagung missliebiger Informationen genötigt sehen.


Sie sind, sehr geehrte Herren Programmdirektoren, auf jeden Fall verpflichtet, der Öffentlichkeit zu erklären, wie es zu der Zensur der Katastrophennachricht aus dem Jemen am 09. Oktober 2016 gekommen ist und welche Stelle bzw. Personen dafür die Verantwortung tragen.

Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Mohssen Massarrat