Jürgen Langenbach
Die PresseSa, 12 Mai 2012 12:44 UTC
Italienische Forscher präsentieren einen neuen Hinweis darauf, dass bei der Katastrophe in Sibirien 1908 Teile eines Himmelskörpers in die Erde fuhren.
Bei der Times in London trafen Anfang Juli 1908 körbeweise Briefe ein, in denen Leser berichteten, sie hätten die Zeitung mitten in der Nacht ohne Kunstlicht genießen können, so rosig sei der Himmel gewesen, ein „falscher Sonnenaufgang“. Dort, wo das Licht herkam, ging es weniger gemütlich zu: „Der Himmel teilte sich, und hoch oben erschien Feuer. Mir wurde so heiß, dass ich dachte, mein Hemd brennt. Ich wollte es herunter reißen, da schloss sich der Himmel, ein dumpfer Schlag knallte, ich wurde ein Stück weit weg geschleudert und verlor das Bewusstsein.“
So erlebte ein Augenzeuge in 65 Kilometer Entfernung, was im hintersten Sibirien geschah, am Fluss Tunguska, 1000 Kilometer nördlich des Baikalsees. Lange war die Region so entlegen - und die politische Lage in Russland bzw. dann der Sowjetunion so dramatisch - , dass erst 1927 eine Expedition unter Leonid Kulik den Ort erkundete: Kulik vermutete, ein Asteroid sei niedergegangen. Und da man damals in Asteroiden viel Eisen vermutete, wollte der Forscher den Segen des Himmels aus der Erde heben.
Statt Eisen fand er verbrannte Erde: Auf 2000 Quadratkilometern - Vorarlberg hat 2600 - lagen 80 Millionen Bäume flach, geknickt und versengt, von irgendetwas, das eine Sprengkraft von 10 Megatonnen hatte, über 700 Mal so viel wie die Bombe von Hiroshima. Als die detoniert war, kam etwas in ihrer Art als mögliche Ursache ins Spiel: Ein nukleargetriebenes Raumschiff von Außerirdischen sei explodiert, ein an Deuterium reicher Meteor sei in Kernfusion geraten, keine Spekulation war zu entlegen (Nature, 453, S.1157).
Fehlender Einschlagskrater
Sie alle hatten eines gemeinsam: Irgendetwas war hoch in der Atmosphäre explodiert, Druck und Hitze gingen nach unten, sonst nichts. Trotzdem blieb Kuliks Vorstellung lebendig: Irgendetwas muss in die Erde hinein gefahren sein, zumindest ein Teil eines oben explodierten Himmelskörpers. Man fand nur nichts, keinen Einschlagskrater, keine anderen Spuren.
Das änderte sich 2007: Eine italienische Gruppe um Luca Gasperini (Istituto di Szienze Marine, Bologna) präsentierte einen Kandidaten für einen kleinen Krater - 500 Meter Durchmesser - , heute heißt er „Tscheko-See“. Seine Sedimente zeigten in den letzten hundert Jahren eine geordnete Ablagerung, darunter ging es wild durcheinander, für die Italiener war das der Beleg für einen Einschlag. Die Fachwelt schüttelte eher die Köpfe - auch Christian Koeberl tat es, Einschlagspezialist der Uni Wien und Direktor des Naturhistorischen Museums - , der See hat nicht die Form eines Kraters, und es gibt eben nicht einmal mikroskopische Einschlagsspuren.
Die Italiener ließen sich nicht beirren, für sie kommt die atypische Kraterform von der Umgebung: Sumpf. Nun waren sie wieder dort, mit Magnetometern. Die zeigten unter den Sedimenten eine besondere Gesteinsform, eine „Anomalie. Sie ist kompatibel mit einem vergrabenen Objekt und unterstützt den Einschlags-Ursprung des Tscheko-Sees“ (Geochemistry, Geophysics, Geosystems, 12.5.)
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