Die Wissenschaft des Geistes
Wenn ich deshalb sage, dass es schlecht um die moderne Erziehung steht -- dass sie sogar in einer Krise steckt -- hoffe ich, dass Sie jetzt aufpassen, und zwar ganz genau. Ich habe auf zwei Kontinenten mit Kindern und deren Eltern gearbeitet - und ich mache das seit 20 Jahren. Was ich in den vergangenen Jahren gesehen habe, macht mir große Sorgen. Hier sind die größten Probleme, so, wie ich sie sehe:
1. Wir haben Angst vor unseren eigenen Kindern.
Ich mache oft etwas, das ich den "Trinkbecher-Test" nenne. Dabei beobachte ich, wie ein Elternteil einem Kleinkind morgens einen Becher Milch gibt. Wenn das Kind sagt: "Ich will den rosa Becher, nicht den blauen", obwohl die Mutter die Milch schon eingeschenkt hat, schaue ich, wie sie reagiert.
Meistens wird ihr Gesicht bleich und sie beeilt sich die andere Tasse zu holen, bevor das Kind einen Schreikrampf bekommt. Das ist falsch! Vor was haben Sie Angst, Mama? Wer trägt hier die Verantwortung? Lassen Sie das Kind einen Schreikrampf haben und verlassen Sie kurz den Raum, damit Sie ihn nicht mitanhören müssen. Aber machen Sie sich um Himmels Willen nicht noch mehr Arbeit, nur um es Ihrem Kind recht zu machen. Noch viel wichtiger: Denken Sie an die Lektion, die Ihr Kind lernt, wenn es bekommt, was es will, weil es rumbrüllt.
2. Wir haben zu niedrige Ansprüche.
Wenn sich Kinder schlecht benehmen, egal ob in der Öffentlichkeit oder zu Hause, zucken Eltern oft mit den Schultern, als würden sie sagen: "So sind Kinder eben." Ich versichere Ihnen: So müssen sie nicht sein.
Kinder sind zu viel mehr fähig, als die meisten Eltern von ihnen erwarten. Egal ob es gute Manieren sind, Respekt vor Älteren, Pflichten, Großzügigkeit oder Selbstkontrolle. Sie denken, dass ein Kind beim Abendessen im Restaurant nicht still sitzen kann? Quatsch. Sie denken, ein Kind kann den Tisch nicht abräumen, wenn es darum gebeten wird? Wieder Quatsch.
Der einzige Grund, warum sich Kinder nicht benehmen, ist, dass Sie Ihnen nicht gezeigt haben, wie und dass Sie es von ihnen gar nicht erst erwarten! So einfach ist das. Stellen Sie höhere Ansprüche und Ihr Kind wird daran wachsen.
3. Wir sind kein Dorf mehr.
Früher hatten Busfahrer, Lehrer, Ladenbesitzer und andere Eltern eine Art Freischein: Sie durften ein unartiges Kind zurechtweisen. Sie waren Augen und Ohren der Eltern, wenn das Kind nicht in deren Obhut war. Alle hatten ein gemeinsames Ziel: Anständige Jungen und Mädchen großzuziehen.
Die Bewohner dieses Dorfes unterstützten einander. Wenn heute andere Menschen als die Eltern es wagen, ein Kind zu ermahnen, sind Mama und Papa böse. Sie wollen, dass ihr Kind perfekt erscheint und oft können sie nicht akzeptieren, wenn zum Beispiel Lehrer etwas anders sagen. Sie stürmen ins Klassenzimmer und schimpfen mit dem Lehrer, statt ihr Kind dafür zur Verantwortung zu ziehen, dass es sich in der Schule falsch verhalten hat.
Sie haben das Gefühl, der Welt ein perfektes Bild vermitteln zu müssen, weil viele Eltern einander verurteilen. Wenn ein Kind einen Schreianfall hat, treffen die Mutter viele vorwurfsvolle Blicke. Stattdessen sollten andere sie unterstützen, weil ihr Kind höchstwahrscheinlich gerade brüllt, weil die Mutter seinen Forderungen nicht nachgibt. Die Beobachter sollten stattdessen sagen: "Hey, Sie machen Ihren Job gut. Ich weiß, es ist hart, Grenzen zu setzen."
4. Wir machen es uns oft zu leicht
Ich finde es toll, dass es inzwischen allerlei elektronische Geräte gibt, die Kinder während langer Flüge oder im Wartezimmer beim Arzt beschäftigen können. Es ist genauso toll, dass wir Lebensmittel im Internet bestellen und einigermaßen gesundes Fertigessen in der Mikrowelle warm machen können.
Eltern haben so viel zu tun wie nie und ich bin dafür, dass sie es sich leicht machen, wenn es nötig ist. Aber diese Abkürzungen durchs Leben können auch schädlich sein. Es ist zwar wundervoll, dass Spiele und Trickserien Ihr Kind auf einem Flug ablenken. Lassen Sie sich aber nicht in Versuchung führen, Ihr Kind auch im Restaurant auf diese Weise zu beschäftigen.
Kinder müssen trotzdem Geduld lernen. Sie müssen trotzdem lernen, sich selbst zu beschäftigen. Sie müssen lernen, dass Essen nicht immer in weniger als drei Minuten fertig ist und idealerweise lernen sie auch, wie man es zubereitet. Ein Baby muss lernen, sich selbst zu beruhigen. Setzen Sie es nicht jedes Mal in einen vibrierenden Stuhl, wenn es unruhig ist. Kleinkinder müssen lernen, allein aufzustehen, statt immer die Arme nach Mama und Papa auszustrecken. Zeigen Sie Kindern, dass Abkürzungen hilfreich sein können, aber dass es auch stolz macht, Dinge auf die langsame, anstrengende Art zu tun.
5. Eltern vernachlässigen ihre eigenen Bedürfnisse
Natürlich sind Eltern so gepolt, dass sie sich zuerst um ihre Kinder kümmern, dann um sich selbst. Das kommt schließlich durch die Evolution! Ich bin dafür, einem Tagesplan zu folgen, der die Bedürfnisse des Kindes berücksichtigt. Ich bin dafür, zuerst das Kind zu füttern und anzuziehen und dann sich selbst.
Aber die Eltern von heute übertreiben es oft. Sie vernachlässigen ihre eigenen Bedürfnisse und ihr seelisches Wohlbefinden total. So oft bekomme ich mit, wie Mütter wieder und wieder aus dem Bett aufstehen, um jeder Laune ihres Kindes zu gehorchen. Oder wie Väter alles stehen und liegen lassen, um quer durch den Zoo zu rennen, damit ihre Tochter etwas zu trinken bekommt.
Es ist nichts falsch daran, dem Kind nachts nicht NOCH ein Glas Wasser zu bringen, obwohl es schon mehrere bekommen hat. Der Vater im Zoo macht nichts falsch, wenn er sagt: "Natürlich kannst du etwas zu trinken bekommen, aber du musst warten, bis wir zum nächsten Trinkbrunnen kommen." Es ist nichts falsch daran, gelegentlich "Nein" zu sagen oder das Kind zu bitten, sich eine Weile selbst zu beschäftigen, weil Mami gern allein aufs Klo gehen oder einfach mal in einer Zeitschrift blättern möchte.
Ich sorge mich, dass wir unsere Kinder zu arroganten, selbstsüchtigen, ungeduldigen und unhöflichen Menschen erziehen, wenn wir so weiter machen. Es wird nicht der Fehler der Kinder sein - sondern unserer.
Wir haben es ihnen nie anders beigebracht, nie etwas anderes von ihnen erwartet. Wir haben immer verhindert, dass sie sich unzufrieden fühlen und wenn sie es irgendwann unvermeidlicherweise doch tun werden, sind sie schlecht darauf vorbereitet.
Also, liebe Eltern von London bis Los Angeles und überall auf der Welt, verlangen Sie mehr. Erwarten Sie mehr. Teilen Sie Ihre Probleme. Geben Sie weniger nach. Lassen Sie uns diese Kinder zusammen richtig erziehen und sie auf den Erfolg in der echten Welt vorbereiten. Nicht in der geschützten Umgebung, die wir für sie geschaffen haben.
Kommentar:
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Kommentare von Lesern
Guter einwand von Voluntarism. Ich habe mal gehört, das 18Hundert- irgendwann ein Herr Schreber ein Buch zur Kindererziehung geschrieben hat, das ganz populär wurde und viele Eltern beeinflusst hat---durch Mundpropaganda und unerkannt sogar bis heute?! Interessant ist, das auch der hübsch gestutzte Garten -wenngleich auch erst nach seinem Tod- nach demselben Schreber benannt wurde. Gestutzte Kinder und gestutzte Bäume. Dasselbe Prinzip. Das ist schon gruselig! Allerdings werde auch ich immer häufiger mit total unerzogenen Kindern in der Öffenlichkeit konfrontiert .Und das nimmt zu. Kinder, die mir mit voller Wucht Holzschwerter auf den Arm schlagen,dass ich Sterne sehe und der Vater sagt nur "Er ist halt im Moment ein bisschen wild" Keine Entschuldigung- kein Zurechtweisen des Kindes durch die Eltern... In solchen Situationen habe ich mir angewöhnt zu sagen "bitte - möchten sie ihr Kind jetzt erziehen? Sonst tue ich das nun-und dann kann es sein, das es später einen Psychologen braucht! " Meist sind die Eltern dann ganz schnell mit ihrem Kind verschwunden... Aber lustig finde ich das nicht.
einmal geht es um den gedanken "früher war es besser" bzw. um einen aktuell erlebten verfall zum schlimmeren hin, desweiteren um überschrittene grenzen und natürlich um den umgang mit kindern. (achtung das könnte länger werden.)
ZU PUNKT EINS: ich möchte mit einem beispiel beginnen, welches erstmal nichts mit erziehung zu tun zu haben scheint: bildung
"in jüngerer zeit" beginnt ein artikel, "geht ein aufschrei durch die elternschaft, weil die kinder nicht laut lesen und sauber schreiben können und außerdem mit der rechtschreibung probleme haben. ausbilder beschweren sich, dass mechaniker nicht einmal einfache gebrauchsanweisungen lesen können. die universitäten beklagen, dass das leseverständnis der schulabgänger nicht ausreicht, um wissenschaftliche texte zu lesen. in den weiterführenden schulen müssen lesekurse eingerichtet werden für kinder, die in der grundschule nicht richtig lesen gelernt haben." das vernichtende urteil setzt sich noch seitenweise fort.
interessant daran ist vorallem das: der artikel ist im jahre 1954 erschienen. vergleichbares gab es auch später in den 70er und 80er Jahren zu lesen.
das führt mich wieder zurück zu unserem thema. denn die frage, die sich einem stellt, ist folgende: wann genau war das goldene zeitalter, in dem die hohen maßstäbe galten (sei es bezogen auf das thema bildung oder bezogen auf das thema erziehung)?
wenn man ernsthafte nachforschungen anstellt kommt man zu dem ergebnis: das goldene zeitalter hat nie existiert, aber jede generation schwärmt von guten alten zeiten, in der die jungen leute eben nicht so waren wie "heutzutage".
so schrieben marguerite und willard beecher (autoren von "parents on the run") 1955: "es gab einmal eine zeit, da übten die eltern in der kindererziehung autorität aus. damals sollte man kinder "sehen, aber nicht hören". eltern- und gottesfurcht wurde ihnen eingeflößt. es gab keinen widerspruch und keinen unfug. der haushalt drehte sich damals um die erwachsenen. heute steht in der familie das kind im mittelpunkt. da gibt es wenig ruhe oder gar furcht vor autorität. das heutige tragikomische heim hat einen fest installierten autokratischen kommandanten, und zwar das kind. die eltern werden gerade noch toleriert. heute sind es die eltern, die man "sehen, aber nicht hören" soll."
1832 beklagt ein englischer reisender "das völlige fehlen von disziplin und unterordnung", bei "kindern aller altersstufen".
1640 empört sich ein schriftsteller über kinder, die die frechheit gegen ihre eltern "stolz, hochmütig und verächtlich" zur schrau tragen
folgende klage wird dem griech. dichter hesiod zugeschrieben, der im achten vorchr. jhd. lebte: "ich habe keine hoffnung für die zukunft unseres volkes, wenn sie von der sittenlosen heutigen jugend abhängt, denn gewiss ist die jugend leichtsinniger, als worte es ausdrücken können. als ich jung war, lehrte man uns, älteren taktvoll und ehrfürchtig zu begegnen, doch die heutige jugend ist überaus [respektlos] und lässt sich nicht zügeln."
ZU PUNKT ZWEI UND DREI:
artikel wie der aus der huffington post enthalten meist drei aussagen:
1. eltern setzen keine/ zu wenig grenzen bzw. unsere gesellschaft ist zu kindzentriert (kindlichen bedürfnissen wird höhere priorität eingeräumt als unseren)
2. kinder verhalten sich zu frech, ichbezogen, ungezogen oder was auch immer
3. das erste problem verursacht das zweite
alle artikel mit ähnlichem tenor haben eigentlich eins gemeinsam - sie gehen nicht über das bloße aufstellen von behauptungen hinaus. es werden nur anekdoten zum besten gegeben, aber das wars auch schon.
ja natürlich beobachten wir in der westlichen welt in den vergangenen jahrhunderten eine zunahme an liebevollem verhalten kindern gegenüber und ein größeres interesse an ihrer entwicklung. sind wir deswegen aber - im negativen sinne - zu kindzentriert?
fakt ist, es gibt keine repräsentativen untersuchungen über gegenwärtige erziehungsmethoden und keine angestellten vergleiche wie und was sich eigentlich im lauf der jahre geändert haben soll. niemand hat die geringsten beweise dafür...
- wie viele eltern tatsächlich "zu nachgiebig" ihren kindern gegenüber sind
- wie viele mit anreizen und/oder strafen erziehen
- oder wie viele auf die bedürfnisse ihrer kinder eingehen ohne sich der "werkzeuge" von gruppe eins oder zwei zu bedienen (viele wissen nicht einmal etwas von der letzteren option!).
natürlich gibt es hinweise. so die umfrageergebnisse des meinungsforschers mark penn (lange jahre enger berater von präsident clinton und seiner frau):
55% der eltern bezeichnen sich als streng
37% als nachgiebig
52% der Eltern (58% unter den älteren) finden es sei besser kinder mit "disziplin und struktur" zu lenken als mit "wärme und ermutigung"
2/3 der amerikanischen eltern meinen es sei wichtiger, kinder zu guten staatsbürgern zu erziehen, als sie glücklich zu machen
und 91% sind der meinung "die meisten anderen eltern sind heutzutage ihren kindern gegenüber zu nachgiebig"
3% finden "die meisten heutigen eltern zu streng"
der meinungsforscher schreibt weiter: "es ist inzwischen sozial inakzeptabel, kinder zu betrafen. früher bekamen die kinder die rute, oder es wurden ihnen wenigstens die leviten gelesen. heute werden sie auf den arm genommen, bekommen auszeiten, und es wird ausgiebig mit ihnen verhandelt."
was er damit meint wird im weiteren ersichtlich:
- "auf den arm genommen" bezieht sich auf sein umfrageergebnis: 60% der eltern finden, dass "babys getröstet werden sollten, wenn sie weinen" (entsetzt bin ich vielmehr über die tatsache, dass nur circa drei von fünf eltern dies so sehen!!!).
- seine feststellung, es sei sozial inakzeptabel geworden, kinder zu bestrafen, führt er auf die tatsache zurück, dass vor einigen jahrzehnten die zustimmung für ohrfeigen noch höher lag (und das obwohl laut penn immer noch eine mehrheit der eltern dafür ist!). und nicht vergessen sollte man seinen persönlichen glauben, dass auszeiten (d.h. räumliche isolation zum beheben von unerwünschtem verhalten) wohl keine strafe darstellen (wie bitte??).
penns letzter punkt, dass mit kindern ausgiebig verhandelt wird, ist der interessanteste.
die fragestellung war, was eltern tun würden...
- wenn ihr neunjähriges kind ihnen ein schimpfwort entgegenschleudere und sagt es hasse sie
- wenn ihr fünfzehnjähriger teenager mit drogen experimentiert
beim ersten beispiel würde eine beträchtliche zahl der eltern mit einer strafe reagieren.
beim zweiten beispiel hätten die befragten eher versucht mit dem kind zu reden, um herauszufinden was los sei.
tatsächlich enthalten die antworten der eltern keinen einzigen hinweis darauf, dass die gespräche mit den sprösslingen die form der "verhandlung" annehmen könnten. ganz zu schweigen davon, ob die verhandlung "ausgiebig" wäre. und trotzdem schließt penn das aus seinen umfrageergebnissen.
was lässt sich an dieser stelle lernen? so einiges würde ich sagen. unter anderem auch, dass vermeintliche tatsachen sich ziemlich schnell in luft auflösen, wenn man einen genaueren blick darauf wirft. der artikel der huffington post ist ebenfalls ein gutes beispiel dafür. es glauben ja auch scheinbar so viele an die überall existierende nachgiebigkeit und weichheit unter den eltern, dass es doch nur stimmen kann. wen interessiert da noch, wie es um die beweislage wirklich bestellt ist?
sogesehen lässt sich das, was eine forschergruppe schreibt, direkt als erklärung für dieses verhalten und gleichzeitig auch als warnung verstehen:
"wenn menschen nicht erkennen, dass persönliche veränderungen der grund für ihre wahrnehmungen eines allgemeinen niedergangs sind... sind sie offen für konservative bewegungen, die solche wahrnehmungen nicht nur als realität behandeln, sondern auch eigene erklärungen für den verfall anbieten und reaktionäre lösungen dafür vorschlagen" "der glaube, dass die gesellschaft sich zum schlechteren entwickelt... lässt sich in jeder amerikanischen generation seit ende des 18. jahrhunderts nachweisen" (eibach et al.; eibach und libby)
in diesem zusammenhang sei noch eine repräsentative studie aus der zeitschrift eltern von 2012 erwähnt:
- fast die hälfte der eltern ist dafür, dass kinder hin und wieder einen klaps bekommen
- eine große mehrheit ist für nichtkörperliche bestrafungen wie schweigen, liebesentzug usw.
die frage ist also, wie es wirklich um unsere kinderfreundlichkeit bestellt ist?
ein forscher namens harold anderson bemerkte 1930 dazu: "ich glaube, unsere kultur hat noch nicht gelernt, kinder wirklich zu mögen"
2012 verfasste elisabeth young-brühl ein ganzes buch zum "breiten spektrum immer noch stattfindender kinderfeindlicher verhaltensweisen und sozialpolitischer maßnahmen"
schauen wir doch bloß mal in die schulen: "dort werden allerhand verhaltensregulierende maßnahmen eingesetzt, die von bestechung bis zu drohungen reichen, um die schüler zur einhaltung von regeln und vorschriften anzuhalten, an deren formulierung sie höchstwahrscheinlich nicht beteiligt waren. die bemühungen gelten nicht der entwicklung eines moralischen bewusstseins, sondern der erziehung zum gehorsam." so "ist hier eine ideologie am werk, die die allgemeine einstellung gegenüber der kindererziehung spiegelt. sie ist definiert durch einen fundamentalen mangel an respekt gegenüber kindern, durch puritanische glaubenssätze über die vorzüge von frustration und versagen, durch die annahme, dass man kinder am besten auf unangenehme dinge in der zukunft vorbereitet, indem man sie frühzeitig an unangenehmes gewöhnt, und durch eine auffassung der menschlichen natur, die davon ausgeht, dass man nur aufgrund von belohnungen und strafen etwas lernen kann." (alfie kohn in "der mythos des verwöhnten kindes")
die regel sind weniger "unerzogene" kinder, die regel ist vielmehr eine epidemie des gehorsams. "für jedes kind, dem man das etikett "oppositionelles trotzsyndrom" aufklebt, gibt es hunderte, die unter dem "fügsamkeits-unterwerfungs-syndrom" leiden, wie es ein pädagoge einmal nannte. eine person mit FUS, sagte er (diamond), "ordne sich autoritäten unter", "befolgt aktiv regeln", "gibt klein bei, statt andere als unterstützer zu mobilisieren" und "beherrscht sich, wenn empörung angebracht wäre".
seltsamerweise werden genau diese symptome gemeinhin als nachweis einer guten sozialisation gefeiert. vielleicht liegt das daran, dass erwachsene, die sich kein höheres lob für ein kind ausdenken können als "wohlerzogen", selbst große hemmungen haben, fragen zu stellen und ihre meinung zu äußern... die unfähigkeit, fragen zu stellen, wäre schon dann besorgniserregend, wenn unser einziges ziel wäre, die welt besser zu verstehen. intellektueller fortschritt verlangt, dass wir uns weigern, die dinge nach dem ersten eindruck zu beurteilen oder alles zu akzeptieren, was man uns sagt. es verlangt, dass wir immer die möglichkeit im auge behalten, die überlieferung könnte irren. wissenschaft lässt sich, wie richard feynman bemerkte, als "glaube an die unwissenheit von autoritäten" definieren - eine aussage, die man als übertreibung abtun könnte, wäre feynman nicht selbst ein so bedeutender wissenschaftler." (alfie kohn in "der mythos des verwöhnten kindes")
"was wir heute in amerika am dringendsten brauchen, sind schlechte soldaten: störrische, unabhängig denkende männer und frauen, die ungern befehlen und befehle empfangen, die loyal nicht gegenüber autoritäten oder einer bestimmen firma oder einem team sind, sondern gegenüber den idealen der offenen debatte, der gleichheit, aufrichtigkeit und gerechtigkeit." (romancier und kritiker mark slouka)
noch einmal möchte ich alfie kohn in "der mythos des verwöhnten kindes" zitieren:
"vor wenigen jahren äußerte sich in unserer lokalzeitung ein entwicklungspsychologe, den ich flüchtig kannte und im allgemeinen für vernünftig hielt, über kinderentwicklung. er wurde folgendermaßen zitiert: "sie können ihre kinder zu egoisten machen, wenn sie sich zu sehr um ihre bedürfnisse kümmern." ich schrieb ihm, dass ich solche aussagen schon seit jahren gehört, aber nie belege für die richtigkeit dieser ansicht gefunden hätte. ich wüsste gern, ob er welche kenne.
es hätte mich wohl nicht überraschen sollen, dass er mir nie antwortete, denn die vorhandene forschung unterstützt mit nachdruck genau die gegenteilige position. neben vielen anderen vorteilen ist eine warmherzige, verständnisvolle erziehung - die manchmal spöttisch mit verwöhnen verwechselt wird - besonders dazu angetan, dass kinder mitfühlend, großzügig und emphatisch werden. dagegen stehen machtbasierte disziplin und kontrolle einschließlich bestrafung häufig der moralischen entwicklung von kindern im wege, sie unterminieren die fähigkeit, das leid anderer zu empfinden, und vermindern eher die chance zur hilfsbereitschaft." (siehe hoffman und saltzstein, sowie krevans und gibbs. strayer und roberts fanden, dass kinder von "autoritären vätern und müttern die angst- und schuldgefühle zur kontrolle einsetzten", eher zu wut neigten. diese wut stand in negativer beziehung zur empathie.)
"kurz und gut, ich bin der meinung, dass die wirkliche alternative zu narzisstischer selbstverliebtheit nicht hirnloser gehorsam, sondern reflektiertes rebellentum ist. und auch wenn kein glaubhafter nachweis vorliegt, dass narzisstische selbstverliebtheit unter heutigen jugendlichen stärker auftritt als bei früheren generationen, scheint die förderung eines reflektierten rebellentums dennoch eine richtig gute idee."
das aber die art der erziehung generell falsch sein könnte - darüber wird viel seltener nachgedacht.
mein persönlicher eindruck ist, dass viele menschen im bezug auf kinder gar keine anderen möglichkeiten kennen, als druck auszuüben, zu kontrollieren, zu belohnen/bestrafen usw. es verwundert mich auch nicht, wenn man bedenkt, dass die mehrheit in ihrer eigenen kindheit schon nichts anders kennengelernt hat. die einzig andere option in den köpfen der leute wäre dann noch "sich auf der nase rumtanzen zu lassen". aus dieser perspektive gesehen gibt es also nur zwei möglichkeiten.
verständlich, dass viele dann nach mehr härte in der erziehung schreien, wenn sie ein kind als zu ungezogen erleben.
das kinder, die grenzen missachten, aber viel eher viel zu viele bzw. falsche und unnötige grenzen gesetzt bekommen wird wenig bedacht.
wie oft ich beispielsweise schon das wort "nein" bei kleinkindern erlebt habe, ist rekordverdächtig. nicht umsonst eins der gern genutzten ersten wörter, wenn sie zu sprechen anfangen.
leider erfolgen diese verbotsaussprüche in der mehrheit nicht aus triftigen gründen heraus, sondern weil die erwachsenen - pardon wenn ich das sage - nicht fähig sind, sich in ausreichendem maße in ihre kinder hineinzuversetzen. so entgeht ihnen völlig, dass viele regeln auf die sie beharren im grunde nur aus bequemlichkeit existieren und nicht, weil es wirklich triftige gründe dafür gibt.
dass ein so ständig reglemtiertes kind, welches täglich erlebt, wie seine eigenen grenzen missachtet, dem gegenüber befehle als bitten getarnt werden usw. von sich aus taktvoller und netter mit den erwachsenen umgehen soll, erschließt sich mir nicht.
kinder lernen viel weniger von dem, was wir sagen und predigen, sondern vielmehr von dem, was wir ihnen vorleben.
niemals würde ich jedenfalls von einer erwachsenen person noch kooperatives und freundliches verhalten mir gegenüber erwarten, wenn ich sie nur annähernd so behandeln würde, wie das bei unseren sprösslingen so üblich ist.
von kindern erwarten wir hingegen ganz widersprüchliche dinge. sie sollen einerseits selbstständig und kritisch denken andererseits ohne zu murren unsere regeln befolgen. sie sollen uns menschlich behandeln, während wir uns ihnen gegenüber gerne unmenschlich verhalten. sie sollen sich gleichaltrigen gegenüber behaupten und dem gruppendruck widerstehen. andererseits erziehungsberechtigten gegenüber nicht aufbegehren oder ihr verhalten auf sinnhaftigkeit hin überprüfen.
einerseits verlangen wir von kindern, dass sie uns nicht anlügen, andererseits bestrafen, missachten oder missbilligen wir sie für gewisse äußerungen, obwohl sie uns nur ehrlich mitteilen wollten, was sie denken und fühlen. und wie oft lügen wir sie eigentlich an? ob gut oder weniger gutgemeint. ja, was bleibt denn bei kindern hängen?
das diese und viele weitere widersprüche in unserer gesellschaft kaum bemerkt werden ist eigentlich besonders traurig.
Hier hat jemand viel Fachwissen in eine leicht verständliche Zusammenfassung gebracht. Das hat mich sehr erfreut. Danke Voluntarism! Besonders gut fand ich die Erwähnung der FUS
"seltsamerweise werden genau diese symptome gemeinhin als nachweis einer guten sozialisation gefeiert. vielleicht liegt das daran, dass erwachsene, die sich kein höheres lob für ein kind ausdenken können als "wohlerzogen", selbst große hemmungen haben, fragen zu stellen und ihre meinung zu äußern... die unfähigkeit, fragen zu stellen, wäre schon dann besorgniserregend, wenn unser einziges ziel wäre, die welt besser zu verstehen. intellektueller fortschritt verlangt, dass wir uns weigern, die dinge nach dem ersten eindruck zu beurteilen oder alles zu akzeptieren, was man uns sagt. es verlangt, dass wir immer die möglichkeit im auge behalten, die überlieferung könnte irren" Große klasse! Iich musste das hierherkopieren, weil ich begeistert zustimme. Diese Form der Überangepasstheit führt auch nachher zu Depressionen- eine neuzeitliche Epidemie,- nach deren multiplen Ursachen verzweifelt geforscht wird. Autoritätshörigkeit und das schreckliche NICHT HINTERFRAGEN hat, glaube ich, zum augenblicklichen Zustand der Welt geführt... Und Autoritäre Erziehung schafft verletzte Seelen, die nachher wieder verletzen um sich Erleichterung zu verschaffen. Wie gelingt e dagegen diversen"Ureinwohnern" (der von uns noch nicht ausgelöschten Kulturen) ihre Kinder zu Gemeinschaftsfähigen Individuen heranwachsen zu lassen... vielleicht sollten wir darauf den Fokus richten.... Ich wünsche mir, das ALLE Erwachsenen-die Eltern werden wollen, sich vorab viel mit philosophischen Fragen über Erziehung und menschliche Werte beschäftigen... leider kenne ich viele Bekannte die sich das Kind nur als Statusverbesserung "angeschafft" haben. Teilweise um dem Kind jetzt das zu geben, was ihnen selber früher versagt blieb. Leider geben sie dem Kind auch alles traumatische und "verkorkste" mit, das sie noch nicht selber reflektiert und aufgearbeitet haben. Da entstehen dann narzisstische Personen...als verlängertes Selbst der Mutter/ des Vaters.Dort wirken dann Menschen erzieherisch auf Kinder ein, die in ihrer Seele selber nie über den Status eines verletzten Kindes hinausgewachsen sind. Ich fürchte auch, niemand von meinen Bekannten liest diesen Artikel und diese Kommentare... Und Lösungen weiß ich daher auch nicht... Es wird narzisstische Kinder in immer größerer Zahl geben... Ich jedoch bleibe weiterhin Ohne... Die Welt erscheint mir bevölkert genug
@seahorse: du hast ureinwohner erwähnt und auch geschrieben, dass du denkst, dass es narzisstische kinder in immer größerer zahl geben wird. vielleicht kann ich zu diesen beiden punkten noch ein paar interessante dinge beitragen.
vorab aber noch zweierlei. einmal natürlich freut es mich sehr, wenn du mit meinem beitrag etwas anfangen konntest.
außerdem ist mir bei deinem letzten kommentar noch etwas sehr deutlich klar geworden: obwohl ich mich wohl selbst ohne kinder kaum so intensiv mit diesen themenbereichen auseinandergesetzt hätte, stelle ich nun fest, wie wichtig diese erkenntnisse auch für mich und mein leben sind – nicht nur für das meines nachwuchses.
Ich sehe daher mittlerweile, dass es eine fehleinschätzung war, zu glauben, dass das wissen nur für (werdende) eltern relevant ist oder sein sollte. es geht vielmehr alle etwas an und es gibt ungeahnt viel zu lernen für das eigene leben - auch wenn kinder darin gar keine rolle spielen sollten.
eine ganze zeitlang wollte ich übrigens nie niemals kinder in diese welt setzen, aber andererseits: wenn ausgerechnet diejenigen, die unsere welt besser verstehen wollen, sich aufgrund der düsteren realität um uns herum davon abgeschreckt fühlen – wo kommen wir als menschheit dann überhaupt hin?
nun aber zu den narzisstischen kindern: einerseits schreibt z.b. alfie kohn, dass es keine verwertbaren daten gibt, die darauf hindeuten würden, dass deren zahl in irgendeiner weise im wachsen begriffen wäre, andererseits sehe ich viele hinweise, die nahelegen, dass wir den tiefsten abgründen der menschlichen geschichte bereits entkommen sind.
um das zu veranschaulichen möchte ich ein zitat einfügen:
"Kürzlich las ich aus Interesse den Wikipediabeitrag über den schottischen Freiheitskämpfer William Wallace. In dem Beitrag wird auch die Hinrichtung (am 23.08.1305) wegen Verrats am König besprochen. Ich zitiere wie folgt. „An ein Pferd angebunden musste er mehrere Stunden lang nackt durch die Straßen Londons laufen, während die Bewohner ihn mit Steinen bewarfen. Anschließend wurde Wallace zuerst fast bis zum Tode gehängt, dann noch lebend kastriert und ausgeweidet – die entfernten Körperteile und Innereien wurden vor den Augen des Verurteilten und der Zuschauer verbrannt (…).“
Vor noch längerer Zeit las ich, wie es u.a. „römische Art“ war, Gefangene hinzurichten. Der Kopf des Gefangenen wurde zwischen zwei Balken gesperrt, der Körper dann so lange ausgepeitscht, bis der Gefangene tot war. Dies tat man u.a. gerne vor den Augen von Führern unterworfener Völker.
Gewaltexzesse wie heute im Kongo waren in historischen Zeiten „normal“. Steven Pinker hat darüber ausführlich in seinem Buch „Eine neue Geschichte der Menschheit“ berichtet. Ein Beispiel aus Pinkers Buch blieb mir in Erinnerung. Ein historischer Fund von einem Folterwerkzeug zeugte von der möglichen Grausamkeit. Ein metallener Ochse wurde gefunden, in dem Menschen lebendig verbrannt worden waren. Zur Belustigung der Anwesenden kamen die Schreie dann aus dem Mund des Ochsen.
Diese drei Beispiele geben - in unserer heutigen Wortwahl die Möglichkeiten institutioneller Gewalt wieder. Von den Regierenden gewünscht und verordnet, als normale Praxis gewollt, zur Belustigung und Erheiterung, zur Abschreckung, sicher, aber letztlich immer auch um kurz etwas zu fühlen. Denn nur „innerliche Zombies“ fühlen kurz etwas, wenn andere Menschen gequält werden. Und nur Menschen die innerlich tot sind, können solche Taten - wie schon gesagt - vollbringen. Wie innerlich tot waren denn nun also unsere Vorfahren?
Wenn man sich die Erkenntnisse der Psychohistorie anschaut, dann müssen breite Schichten der Bevölkerung in historischen Zeiten innerlich tot gewesen sein; einfach, weil sie von Geburt an ständig Gewalt und Ablehnung ausgesetzt waren. So etwas überleben die meisten Menschen nicht, zumindest nicht in ihrem Inneren. quelle: [Link]
nun zu dem anderen punkt, den du erwähntest- die frage, ob ureinwohner tatsächlich gemeinschaftsfähige individuen heranziehen.
gewiss mag es das ein oder andere gute beispiel geben, aber tatsächlich ist es eher so, dass unsere ansichten über sie von vielen illusionen und romantischen vorstellungen durchdrungen sind.
mein erstes buch, mit dem ich in dieses komplexe thema der kindheit eingestiegen bin, ist das von jean liedloff „auf der suche nach dem verlorenen glück“, in dem es ebenfalls um ein naturvolk geht. auch wenn ich es immer noch empfehlen würde, weil es wirklich augenöffnend ist, so lässt sich in dem ähnlich klingenden buch „auf den spuren des glücks“ von carola eder nachlesen, wie leicht fehlinterpretationen entstehen können. so konnte liedloff beispielsweise nicht zwischen echter entspannheit und zufriedenheit von kulturell erlernter beherrschung (aufgrund von angst) unterscheiden. aus diesem grund sind bei liedloff leider auch einige falsche beobachtungen zustande gekommen.
zum thema möchte ich auch folgendes zitat gerne einfügen:
"Allan R. Holmberg lebte 1941 und 1942 mit den Sirionó-Indianern im bolivianischen Regenwald. Er war nach eigenen Angaben häufig verblüfft über den geringen sozialen Zusammenhalt, sogar unter Familien. So berichtete er von einer Begebenheit, als ein Mann allein auf die Jagd gegangen war und, von der Dunkelheit überrascht, den Weg zurück zum Lager nicht mehr fand. In großer Angst rief er wiederholt um Hilfe, aber seine Verwandten, die ihn im Lager hören konnten, antworteten nicht. Nach einer halben Stunde hörten die Rufe auf, woraufhin die Schwester des unglücklichen Jägers meinte: "Wahrscheinlich hat ihn ein Jaguar erwischt."(8) Tatsächlich überlebte der Mann jedoch, indem er die Nacht auf einem Baum verbrachte. Bei seiner Rückkehr am nächsten Morgen wurde er von niemandem empfangen. Anstatt glücklich über die Rückkehr ihres Bruders zu sein, beschwerte sich die Schwester noch darüber, daß er nur einen geringen Teil seiner Beute mit ihr teilen wollte […]
[...] In Äthiopien, wie in weiten Teilen Ostafrikas, ist es Sitte, daß das jüngste Kind nur das Essen bekommt, das der Vater, die Mutter, die älteren Kinder und die Gäste nicht aufgegessen haben[...]
…....Nicht nur in vielen Stammesgesellschaften Afrikas stehen Kleinkinder an letzter Stelle der sozialen Rangfolge. Kindesmord war eine weitverbreitete Praxis überall auf der Welt. Bei den Yanomami-Indianern gab es eine Regel, wonach es einer Frau vom Zeitpunkt der Entdeckung ihrer Schwangerschaft bis zur Entwöhnung des Kindes verboten war, mit einem Mann Sex zu haben. Anstatt aber diese lange Zeit abzuwarten oder das Tabu aufzugeben, töteten manche Paare ihre Säuglinge, um danach wieder gesellschaftlich abgesegneten Sex haben zu können.(19) Dies führte dazu, daß bei den Yanomami unglaubliche 43% aller weiblichen Kinder das erste Lebensjahr nicht überlebten.(20)[...]
quelle: [Link]
oder diese zwei Abschnitte aus „Gefesselte Kinder“ von Ralph Frenken:
"Die Apachen sehen das kleine Kind bis zum Alter von etwa zwei Jahren als nicht menschlich an. Von Zwillingen wurde früher einer getötet, indem er auf einem Ameisenhügel ausgesetzt wurde. Diesem Kind wurden die Augen oft mit Honig beschmiert, eine Ritualhandlung die sonst nur Feinden gegenüber ausgeführt wurde [...] Den Kindern wird erlaubt, Tiere grausam zu misshandeln. Eltern fordern ihre Kinder manchmal regelrecht dazu auf Hundwelpen zu quälen.“
"Strammes Wickeln war weltweit und über Jahrtausende hinweg bis zum 18. Jahrhundert die große Konstante im Umgang mit dem Baby. Ein enorm großer Anteil der Menschheit wurde als Baby in irgendeiner Form gewickelt […]
….Der Sprachforscher und Pädagoge Joachim Heinrich Campe (1746 – 1818) wird von ihm folgendermaßen zitiert"... man umwickelt seinen ganzen Leib so dicht und fest, dass es jedes seiner Gliedmaßen noch viel weniger bewegen kann, als es noch im Mutterleibe lag. Als ich noch der Kirche diente, habe ich häufig Kinder getauft, die so fest zusammengeschnürt waren, dass ihr aufgeschwollenes, braunblaues Gesicht mich oft besorgen ließe, dass sie mir unter den Händen ersticken würden."
Michel Odent schreibt in seinem Buch „Geburt und Stillen“: „Die Sioux... stellten sich den idealen Mann als einen mutigen und aggressiven Krieger vor. Die ideale Frau war entweder Gattin oder Schwester eines solchen Mannes. Um dieses Krieger-Ideal zu erreichen – das sagen die Sioux unverblümt -, musste jeder intime Kontakt zwischen dem Neugeborenen und seiner Mutter verhindert werden...“
vielleicht gibt dir das einen besseren eindruck von der (un)menschlichen vergangenheit, aus der wir gekommen sind.
viele bücher, wie auch die in den abschnitten weiter oben - oder „das emotionale leben der nationen“ von lloyd de mause – zeigen, dass unsere vergangenheit ein schrecklicher albtraum war, bestehend aus misshandlung, vernachlässigung, schmerz und qual.
ja, noch gibt es auch in unseren breitengraden eine vielzahl von gewalterfahrungen und traumatisierungen, die nicht als solche erkannt werden, weil das wissen dafür fehlt (man denke nur an die noch vor wenigen jahrzehnten vorherrschende praxis frühchen und babys ohne narkose zu operieren, da man ihnen ein schmerzempfinden absprach – näheres dazu schrieb ich schon einmal in einem kommentar hier:
Missbrauch und Gewalt an Kindern: Die Täter sind oft nicht nur die armen Opfer, die selbst misshandelt wurden
Geschlagen, missbraucht, ignoriert: Kinder gewalttätiger Eltern werden später oft selbst übergriffig - das bestätigen Statistiken von US-Kinderschutzbehörden. Doch die Zusammenhänge sind weniger...so halte ich es – wie oben erwähnt – für umso wichtiger, dass sich nicht nur (werdende) eltern mit diesen themen beschäftigen. jeder von uns trägt das weiter, was er als kind verinnerlicht hat - und wenn schon nicht bei seinen eigenen oder fremden kindern, dann doch zumindest bei sonstigen mitmenschen.
es wird zeit dieser negativen spirale zu entkommen, zeit, dass wir als menschheit aufhören uns immer und immer wieder buchstäblich unsere eigene hölle zu erschaffen. und es gibt so viele möglichkeiten dazu, auch ohne eigene kinder.
Wahrscheinlich meinte es der Autor des obigen Artikel auch nur "gut" mit den Eltern und deren Kindern, als er diesen verfasst hat. Leider gibt es aber keine einzige Äußerung in dem Artikel, die man mithilfe der heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht eindeutig widerlegen könnte.
Das fängt schon mit "Ein Baby muss lernen sich selbst zu beruhigen" an. Babys können sich gar nicht selbst beruhigen, ihr Cortisolspiegel bleibt auch dann bedenklich erhöht, wenn sie wieder zu schreien aufgehört haben (nachdem sie keiner getröstet hat). Zumal Geruch weg, Stimme weg, Bezugsperson weg - für ein Baby erstmal ALARM!!! bedeutet. Und das nicht ohne Grund: [Link]
Und es ist auch besonders interessant, welche Verhaltensweisen eben gerade die oben im Artikel angeführten Werte wie Großzügigkeit, Durchhaltevermögen, Freundlich- und Höflichkeit unterstützen und fördern. Da wäre es gut eben mal die Fakten sprechen zu lassen, als irgendwelche Halbwahrheiten zu wiederholen (beispielsweise "Der Mythos des verwöhnten Kindes" von Alfie Kohn).
Wichtig scheint mir auch, ein Verständnis dafür zu schaffen, welche Verhaltensweisen man aufgrund der kindlichen Hirnreife in einem bestimmten Alter erwarten kann und welche nicht. Denn etwas zu verlangen, was das Kind aufgrund seines unreifen Gehirns noch nicht leisten KANN ist einfach absurd. (Buchtipp: "Achtsame Kommunikation mit Kindern - 12 revolutionäre Strategien...")
(Hier auch ein paar weitere Kommentare von mir zu dem Thema
[Link]
[Link]
http://de.sott.net/article/22787-Je-mehr-Liebe-desto-mehr-Grips-Liebe-lasst-das-Hirn-wachsen)
Was man auch bedenken sollte: Selbst in der Weimarer Republik und im Nazireich haben die allermeisten Eltern es nur "gut" mit ihren Kindern gemeint, als von Experten erklärt wurde, dass schon Babys beispielsweise gezüchtigt werden sollten, wenn sie unartig wären oder beispielsweise nur zum Wickeln, Stillen und Baden hochgenommen werden dürfen, sowieso nur nach der Uhr gefüttert werden sollten (alle 4 Stunden) und Nachts dringend eine Stillpause von exakt 8 Stunden einzuhalten sei.
Woher kamen die damaligen Ansichten zu Babys und warum wird - wie auch im obigen Artikel - aktuell so ein ganz bestimmter Ton in Sachen Kindererziehung angeschlagen? Und ja, warum gab es zwischendrin überhaupt mal so einen eher lässigen, nachgiebigeren Stil?
Dieser Problematik hat sich der Kinderarzt und Wissenschaftler Herbert Renz Polster in seinem Buch "Die Kindheit ist unantastbar" schon sehr gut angenommen, in dem er schlüssig belegt, dass unsere Ansichten zu Kindern, deren Erziehung und Bildung durch die Bank hindurch nicht magischerweise aus dem Nichts heraus kamen, sondern allzuoft von Interessensgruppen gelenkt und in unsere Köpfe gepflanzt wurden. Auch heute ist das nicht anders.
Der Trick dabei ist aber, dass wir das oft nicht einmal bemerken.
Ganz unabhängig vom Thema Kinder und Erziehung ist es sowieso total irre, wie oft wir im Grunde nur glauben eine eigene Meinung zu besitzen...