wütender baum
Leipzig (Deutschland) - Während Pflanzen gerne als passive, intelligenz- und schmerzfreie Organismen dargestellt werden und ihre Nutzung bis hin zum Verzehr als moralisch unbedenklich propagiert wird, zeichnen Studien immer wieder, ein ganz anderes Bild - offenbaren direkte Reaktionen auf äußere Reize bis hin zur Kommunikation untereinander und mit anderen Lebewesen (siehe Links). In einer aktuellen Studie können Leipziger Wissenschaftler nun zeigen, dass Bäume unterscheiden können, ob eine ihrer Knospen oder Triebe nur zufällig durch eine Sturmbö abgerissen wurde oder einem gefräßigen Reh zum Opfer gefallen ist - und setzten bei Rehverbiss sogar Abwehrmechanismen in Gang.

Wie das Team um die Biologin Bettina Ohse von der Universität Leipzig und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) aktuell im Fachjournal Functional Ecology berichtet, stellt der Rehverbiss der schmackhaften Knospen ein großes Risiko für das Wachstum junger Bäume dar: „Mit Glück braucht das angefressene Bäumchen nur ein paar Jahre länger zum Wachsen als seine nicht verbissenen Artgenossen, hat es Pech, wird aus ihm ein Krüppelbaum, oder es muss nach mehreren Jahren den Überlebenskampf aufgeben. So können Rehe schnell viel Schaden anrichten und die Verjüngung von Beständen vieler Laubbaumarten erschweren.“

Rehbock
© Mucki (WikimediaCommons), CC BY-SA 3.0Rehbock
Wie die Forscher jetzt aber herausgefunden haben, setzten sich Bäume gezielt gegen diese Reh-Gefahr zur Wehr. Die Studien an jungen Buchen und Bergahornen zeigen, dass Bäume genau erkennen, „ob ein Ast oder eine Knospe gezielt durch ein Reh abgeknabbert wurde - oder nur zufällig durch einen Sturm oder eine andere mechanische Störung abgerissen wurde.“

Experiment Bäume mit Rehspeichel
© Bettina Ohse/Universität LeipzigSimulierter Rehverbiss: Auf die abgeschnittene Hauptknospe eines Ahorn-Bäumchens wird mit einer Pipette Rehspeichel aufgetragen.
Das Signal dafür liefere den Bäumen der Speichel der Tiere. Als Reaktion fahren die Bäume die Produktion von Salizylsäure hoch: „Dieses Signal-Hormon veranlasst ihn wiederum, eine Extraportion bestimmter Gerbstoffe zu bilden“ erklärt Bettina Ohse und führt weiter aus: „Von manchen dieser Stoffe weiß man, dass sie die Rehe in ihrem Fressverhalten beeinflussen, sodass diese den Appetit auf die Triebe und Knospen verlieren. Zusätzlich steigert das Bäumchen die Konzentration weiterer Pflanzenhormone, besonders der Wachstumshormone. Durch das zusätzliche Wachstum wird die verlorene Hauptknospe kompensiert.“

Anders sieht es hingegen aus, wenn ein Ast oder eine Knospe lediglich abbricht. In diesem Fall kurbelt der Baum weder seine Produktion des Signal-Hormons Salizylsäure noch die der Gerbstoffe an - bildet aber stattdessen vor allem Wund-Hormone.

„Im Anschluss an diese erste Grundlagenforschung wäre es interessant, auch weitere Baumarten auf ihre Abwehrstrategien gegenüber Rehen zu untersuchen“, so die Forscherin abschließend. „Würden sich hier einige als von Natur aus wehrhafter herausstellen, könnten diese möglicherweise in Zukunft in den Wäldern mehr gefördert werden.“