Die Bundesregierung streicht die Existenzsicherung für Bedürftige zusammen. Mit statistischen Tricks wurde dafür gesorgt, dass Armen auch künftig 'zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel' bleibt.
Armut,Pfandflaschen sammeln
© ReutersEin alltägliches Bild in Berlin: Bedürftige sammeln leere Pfandflaschen aus Mülleimern.
Dieser Tage peitschen Bundesregierung und Bundesrat Steuererleichterungen für Firmenerben durch. Die Ärmsten sollen damit verbundene Verluste für den Fiskus ausgleichen: Behinderte, Kranke und Rentner im Grundsicherungsbezug, Niedriglöhner und Erwerbslose mit Hartz-IV-Bedarf sowie Asylbewerber, denen schon jetzt 23 bis 50 Euro weniger zustehen als Ersteren. Für die einen gibt es marginale Erhöhungen, die nicht einmal die Inflation ausgleichen. Den anderen werden die Bezüge gekürzt. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) verkauft ihre Gesetzesvorhaben als "sozialen Ausgleich".

Bei noch nicht anerkannten Flüchtlingen, die Asylbewerberleistungen erhalten, griff sie zu einem Trick. Sie will Alleinstehenden den physischen Grundbedarf für Essen und Kleidung von 219 auf 187 Euro einstampfen. Für »persönlichen Bedarf«, also alles, was ein Mensch sonst noch braucht, sollen sie mit 145 Euro ganze zehn Euro mehr im Monat erhalten. Insgesamt macht dies eine Kürzung um 22 auf 332 Euro. Ihnen werde dafür die Stromrechnung als Sachleistung erstattet, rechtfertigte Nahles ihr Vorhaben.

Das rief prompt entrüstete Kommentatoren in Onlineforen verschiedener Medien auf den Plan. Es stimmt zwar, dass mit 22 Euro niemand seine monatliche Stromrechnung begleichen kann. Was Nahles aber verschweigt: Die meisten Asylbewerber leben in Massenunterkünften, wo ihnen bereits Pauschalen für Strom, Möbel oder Telefon abgezogen werden. Das soll auch so bleiben - trotzdem erhalten sie weniger.

Auch bei Flüchtlingen mit Familie wird gekürzt: Für Paare soll es zusammen nur noch 598 statt 636 Euro geben, für Kinder, je nach Alter, zwischen 206 und 265 Euro. Das Gesetzesvorhaben wird sich zudem auf Menschen auswirken, die in Lagern versorgt werden und darüber hinaus ein »Taschengeld« zwischen 76 und 145 Euro bekommen. Dem Betreiber gesteht das geplante Gesetz künftig für die Versorgung eines Erwachsenen mit drei Mahlzeiten, Kleidung und Medizin nur noch 150 statt 176 Euro monatlich zu.

Was Nahles Ministerium indes als »transparent« berechnete Wohltat für die einheimische Bevölkerung verklärt, sind mickrige Zulagen bei den Grundsicherungssätzen im Hartz IV-Gesetz. Grundlage ist die in dieser Woche vom Kabinett beschlossene Änderung des Regelbedarfsermittlungsgesetzes (RBEG). Für unter Sechsjährige bleibt es danach bei monatlichen 237 Euro. 14- bis 17-Jährigen will man mit 311 fünf Euro und jungen Erwachsenen unter 25 Jahren mit 327 drei Euro mehr zubilligen. Kindergeld und Unterhalt werden darauf angerechnet. Übersteigt beides den Kinderregelsatz, wird der Rest bei Mutter oder Vater abgezogen. Für Paare ist ein Monatssalär von insgesamt 736 Euro (+8 Euro) zuzüglich einer »angemessenen« Miete geplant, Alleinstehenden sollen 409 Euro (+5 Euro) gezahlt werden. Lediglich für sechs- bis 13-Jährige wird die Leistung um 21 auf 291 Euro aufgestockt.

Das Ministerium habe dafür, wie vom Bundesverfassungsgericht vor sechs Jahren verlangt, die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamtes ausgewertet, lobte es sich selbst in einem »Hintergrundpapier«, das es auf Nachfrage an die Medien verschickte.

Für Alleinstehende zog man darin ermittelte Ausgaben der ärmsten 15 Prozent heran. Das sind Menschen mit einem Monatsnetto von unter 950 Euro, wie Ulrich Schneider, Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, zu Wochenbeginn ausführte. Selbst davon habe das Ministerium Positionen abgezogen. Schneider sprach von »Nickeligkeiten«: Ausgaben für Eis oder das Würstchen am Imbissstand habe es auf den reinen Warenwert reduziert. Gestrichen habe es auch Beträge für Bildung, Freizeitfahrten, Zimmerpflanzen, Kinderspielzeug, Friseur, Kleidung, Mobiltelefon oder Schulbedarfe über 100 Euro pro Jahr.

Eine viel zu kleine Referenzgruppe in der Statistik, »die zuletzt immer ärmer geworden ist«, sorge ferner für mangelhafte Daten, ergänzte Schneider. Angesichts gestiegener Preise habe man »die soziokulturelle Teilhabe weggekürzt und auf das notwendigste physische Minimum reduziert«. »Das ist Geschacher auf dem Rücken der Schwächsten«, sagte er und plädierte für eine Anhebung der Sätze um mehr als 100 Euro.

Zudem gilt: Anspruch auf diese Mini-Existenzsicherung hat nur, wer sich wohl verhält. Die Behörden können Betroffenen die Leistung bis auf null kappen, wenn sie einen Ein-Euro-Job (Flüchtlinge bekommen 80 Cent pro Stunde), Leiharbeit oder Maßnahmen ablehnen. Das seit Anfang August geltende »Integrationsgesetz« macht harte Sanktion, wie sie für Hartz-IV-Bezieher gelten, nun auch bei Asylbewerbern möglich.