"Krieg ist ein soziologisches Sicherheitsventil, das den allgemeinen Hass auf die oberen Klassen geschickt in eine glückliche Gelegenheit verwandelt, ausländische 'Feinde' zu verstümmeln oder zu töten." - Ernest Becker
Obwohl es in unserer westlichen Gesellschaft keine organisierte und weit verbreitete Bewegung gibt, die "den allgemeinen Hass auf die oberen Klassen" propagiert (die "oberen Klassen" haben den Rest von uns effektiv überzeugt, dass es sie seit der Demokratie nicht gibt), könnte man aus gutem Grund darauf hinweisen, dass Krieg von den "oberen Klassen" der heutigen modernen Zeit immer schon dazu verwendet wurde und weiterhin auch noch verwendet wird, die öffentliche Aufmerksamkeit von jeglichen fragwürdigen Aktivitäten oder Fehlverhalten des Staates abzulenken.

Es gibt keinen empirischen Beweis, dass dies eine explizite Absicht derjenigen, die Krieg führen, ist. Das durch den Krieg erweckte automatische Anschwellen des Nationalismus und des nationalen Stolzes nutzt aber sicherlich den 'vorherrschenden Mächten'. Vielleicht ist es ein wenig naiv zu denken, dass dieser Aspekt nicht zumindest ein Teil des Grundes für die Entscheidung zum Krieg ist. Es wurde immer wieder festgestellt, dass Kriege schon viele Regierungen vor dem bevorstehenden Wahlverlust gerettet haben. Vor den Paukenschlägen für einen Krieg gegen Saddam Hussein wurde die Bush-Administration unter anderem durch den Skandal der Erdölfirma Enron, durch eine von der Industrie erzeugte "Energiekrise" in Kalifornien, durch die geheimen Verhandlungen von Vizepräsident Cheney mit den US Öl- und Gasfirmen beim Ausarbeiten der US-Energiepolitik und durch den Bankrott von WorldCom - unter anderen Problemen - heimgesucht.

Wer spricht heute noch von diesen Dingen?

Das Problem, das uns hier jedoch beschäftigt, ist der Effekt der Formung der Massenwahrnehmung nicht auf das kollektive Bewusstsein, sondern auf die individuelle Wahrnehmung jeder Einzelperson.

Das Erzeugen eines ausländischen Feindes ist für die Regierung nützlich, weil es sehr direkt den Anschein einer äußeren Bedrohung für "die Nation" erzeugt. Eine solche Bedrohung erzeugt in der öffentlichen Empfindung ein "wir gegen sie", mit "uns" als Helden von allem, was gut ist, und "sie" als Verkörperung des Bösen. Die verschiedenen Ansprachen von George Bush über den aktuellen "Kampf gegen den Terror" sind voll von Referenzen auf "Gut" und "Böse", und deuten darauf hin, dass die US-Regierung - und sehr wahrscheinlich alle Regierungen - sich den Vorteilen, die sich aus dieser subtilen Programmierung der Bevölkerung ergeben, sehr wohl bewusst sind. Regierungen und "obere Klassen" - die regierende Elite - machen, was sie wollen, und es wird nicht gelten gelassen, dass die Bevölkerung versucht, die etablierte Ordnung zu ändern.

Wie schon viele zuvor zu Recht beobachtet haben, bekommen wir nur die Regierungen, die wir auch verdienen.

Anstatt auf politischer Ebene zu arbeiten, um die Regierungen oder die Strukturen der Gesellschaft zu verändern, denken wir, dass es besser ist, die Natur der Regierung und der Gesellschaftsstrukturen lediglich zu beobachten und zu verstehen.

Wichtiger und subtiler ist, dass die Umleitung der öffentlichen nationalen Aufmerksamkeit sehr oft bis auf eine persönliche Ebene hinuntersickert und dort ebenfalls eine sehr einschränkende Wirkung auf die Infragestellung eines möglichen 'Fehlverhaltens' des Individuums - auch im Sinne wie es sein Leben führt, und wie Überzeugungen und Moral dieses prägt - haben kann. Wenn in Leuten der Glauben gefördert wird, dass sie kollektiv als Nation auf der Seite dessen sind, was 'gut' und 'rechtmäßig' ist, so wird natürlich jeder im Kollektiv zur Überzeugung geführt, dass auch im persönlichen Leben alles so ist, wie es sein soll. Die wesentliche Zutat, die sicherstellt, dass dieses fehlerhafte Denken auf nahrhaften Boden fällt, ist das starke, angeborene und meistens unter den Menschen unbewusste Verlangen zu glauben, dass das subjektive Verständnis der Realität akkurat ist, dass die Anderen im Irrtum sind, dass der Feind immer außerhalb und nie innerhalb ist, und dass alles andere sich ändern muss, um sich der persönlichen Sichtweise anzupassen.

Die Wahrheit ist jedoch, dass der echte Feind innerhalb von uns ist, und dass wir es nicht zulassen dürfen, dass unsere Aufmerksamkeit auf der Suche nach einer Antwort auf unsere persönlichen Probleme und den Problemen dieser Welt, nach außen umgeleitet wird. Die Antwort zu diesen Problemen wird nicht gefunden, indem man ausländische oder sogar inländische Regierungen stürzt, sondern indem man die langsame und vorsätzliche Arbeit beginnt, die schließich im Sturz der inneren, subjektiven und zusammenziehenden Natur, die wir als Menschen alle haben, kulminiert.

Um die obigen Worte von Becker anders auszudrücken: Kriege und das absichtliche Erschaffen von äußeren Feinden kann als Illusion der Bedrohung der persönlichen Sicherheit eingesetzt werden, die geschickt von jeglicher Chance der Introspektion, der objektiven Selbstreflexion, und der Gelegenheit, unser heiliges und völlig illusorisches Verständnis, wer wir sind und wo unser Platz in dieser Welt liegt, ablenkt. In Tolstoys Der Tod von Ivan Illych, sinnt Illych über sein Leben, und einer Vergangenheit der Anpassung an soziale Werte und Normen, nach:
"Was ist, wenn mein ganzes Leben falsch war?" Es schien ihm, dass das, was ihm immer als völlig unmöglich erschienen war, nämlich der Gedanke, dass er sein Leben nicht so gelebt hatte, wie er es hätte tun sollen, vielleicht doch wahr war. Es schien ihm, dass die kaum wahrnehmbaren Impulse, die er immer sofort unterdrückt hatte, vielleicht doch das Wahre waren, und der Rest falsch; all seine professionellen Aufgaben und die ganze Anordnung seines Lebens und seiner Familie und alle seine sozialen und offiziellen Interessen könnten falsch gewesen sein. Er versuchte, all diese Dinge zu verteidigen, und spürte plötzlich die Schwäche dessen, was er verteidigte. Es gab nichts zu verteidigen..."