Der jüngste Skandal um den Berliner Senat, der in den Siebzigerjahren wissentlich Pädophile als Pflegeväter für Straßenjungen eingesetzt hat, zeigt, dass das Thema sexueller Kindesmissbrauch nach wie vor aktuell ist. Einer umfassenden Aufklärung steht allerdings Desinteresse der Politik im Wege.
Teddybär, Kuscheltier
© Flickr/ K.Prarin Lekuthai
Göttinger Wissenschaftler, die eine Verstrickung des Berliner Senats zu Pädophilie-Aktivisten untersucht haben, fanden heraus, dass es auch eine Verbindung zur Odenwaldschule gab. Der Senat finanzierte dort Schulplätze für Kinder der Jugendhilfe. Die Wissenschaftler fordern nun den Senat zur Nachforschung auf, ob die von ihm entsandten Jungen dort sexuell missbraucht wurden.


„Das ist kein Thema der Vergangenheit“, sagt auch Christine Bergmann, ehemalige Familienministerin und heute Mitglied in der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. Die vor etwa einem Jahr gegründete Kommission beschäftigt sich mit sämtlichen Formen von sexuellem Kindesmissbrauch in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR.

Dass der Kommission jegliche Befugnisse fehlen, kritisiert Norbert Denef vom Netzwerk B., das sich für betroffene von sexualisierter Gewalt im Kindesalter einsetzt. Er sagt: „Das Vertuschen von Missbrauchsskandalen hat System und es fehlt der politische Wille, hier wirklich etwas aufzuarbeiten.“

Anmeldungen, Anhörungen, aber keine Aufarbeitung

Im Zeitraum von rund einem Jahr sind bei der Kommission rund 415 Anmeldungen für vertrauliche Anhörungen sowie 67 schriftliche Berichte eingegangen. 38 vertrauliche Anhörungen gab es bisher seit September. Hinzu kommen rund 200 Telefonate.

In einem Sputnik-Interview sagte Norbert Denef: „Diese Kommission ist politisch nur dazu befugt, sich die Opfergeschichten anzuhören, Aufarbeitung findet dort nicht statt.“

Auch die neuerlichen Vorwürfe rund um die Odenwaldschule wundern Denef nicht:
„Man hat den Eindruck, dass dort eine große Mauer des Schweigens ist, auch von Prominenten, die an der Odenwaldschule vertreten waren. Diese haben verhindert, dass stelle ich mal als These in den Raum, dass hier eine wirkliche Aufarbeitung stattfindet.“
Norbert Denef hat selber Erfahrungen mit der Arbeitsweise der Kommission gemacht. Als er angeboten hat, seinen Fall exemplarisch aufzuarbeiten, wurde dies abgelehnt. Er wollte die Anhörung bei der Kommission aufzeichnen, um sie seinem Netzwerk zur Verfügung zu stellen. Die Kommission habe dies jedoch abgelehnt.

Man habe weiterhin Interesse an dem Fall Denef, eine Aufzeichnung des Gesprächs werde aber abgelehnt, hieß es.

Das ärgert Denef: „
Wir haben in den letzten sechs Jahren schon immerzu Geschichten angehört. Auch die therapeutische Welt hört sich schon seit Jahrzehnten immer wieder Geschichten an. Das ist aus unserer Sicht eine Hinhaltetaktik, dass man wieder einmal „nur“ anhört. Und wieder schöpfen die Betroffenen Hoffnung, dass sich vielleicht etwas verändert.“
Seine Erfahrungen mit dem Thema zeigen, dass es an der Zeit ist, aktiv zu werden.

Kommission machtlos

Doch genau das kann die Kommission nicht leisten. Sie hat keine weitreichenden Befugnisse, erhält keine Akteneinsicht. Auch bei der Finanzierung der Arbeit der Kommission gibt es Schwierigkeiten. Bis Mitte 2017 werden weit mehr als 500 Anmeldungen für die rund zwei Stunden dauernden vertraulichen Gespräche erwartet. Der Kommission stehen bis 2019 rund 1,4 Millionen Euro zur Verfügung. Mit diesem Geld können jedoch nur 500 Anhörungen geführt werden. Bis heute haben sich jedoch schon rund 415 Menschen für eine vertrauliche Anhörung gemeldet.

Norbert Denef stellt fest: „Wir brauchen keine Kommission, wo uns von der Politik vorgegaukelt wird, dass etwas getan wird, aber in Wirklichkeit passiert nichts.“

Was den Skandal beim Berliner Senat betrifft, so haben die Mitglieder der Kommission ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dies nun die Arbeit des Senats sei, umfassende Aufklärung zu leisten. Christine Bergmann von der Aufklärungskommission sagt:
„Wir müssen es schaffen, dass das freiwillig passiert. Weil wir Kinder in Zukunft schützen wollen. Dass es dafür auch ein Bewusstsein in der Gesellschaft gibt. Es gibt nichts Wichtigeres, was man tun könnte.“
Um aber eine wirkliche Aufarbeitung zu gewährleisten, müssten sich aber die Betroffenen und die Kommission erst einmal zusammenfinden.