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Das Jahr 2016 hinterlässt im Nahen Osten einen widersprüchlichen Eindruck. Trotz Kriegen und Krisen ist die Region nicht ins Chaos gestürzt. Ein solches Szenario ist aber noch nicht vom Tisch. RT Deutsch und das russische Analyse-Portal Eadaily ziehen Jahresbilanz.

Die Redaktion des russischen Analyse- und Nachrichtenportals eadaily.com veröffentlichte einen ausführlichen Jahresrückblick zur Großregion Naher Osten. Der Interessenschwerpunkt von eadaily liegt auf den internationalen Beziehungen zwischen den Staaten Eurasiens mit einem besonderen Augenmerk auf russischen Interessen. Die Jahresbilanz widmet sich vor allem dem Länderviereck, das die Türkei, der Jemen, Ägypten und der Iran umschreiben. RT Deutsch hat sich mit den interessantesten Schlußfolgerungen der eadaily-Redaktion näher befasst.

So zeigten nach Meinung des Nachrichtenportals die Schlüsselstaaten der Region insgesamt ein hohes Maß an innerer Widerstandfähigkeit und bleibendes Potenzial für ein schnelles und wirksames Reagieren auf die Herausforderungen von außen. Es gab kaum Revolutionen, Regimechanges oder andere Systemänderungen in der politischen Landschaft. Auch sind beispielsweise die Spaltungslinien zwischen den sunnitischen und schiitischen Kräftepolen nicht zu Fronten regionaler Kriege geworden.

Nichtdestotrotz ist der Körper des Nahen Ostens immer noch von vielen geopolitischen Wunden übersät. Diese lassen auch wenig Raum für Hoffnung auf eine schnelle Befriedung der Region. Das Hauptproblem ist nach wie vor die fehlende Geschlossenheit einer Front der größeren Staaten gegen den radikalen Islam in der Region, was die Bedrohung durch grenzüberschreitenden Terrorismus begünstigt. Die Hauptplage der Region, DAESH, konnte zwar nicht weiter an Terrain gewinnen, wurde aber auch noch nicht durch das Bemühen der unterschiedlichen Länder und Antiterrorkoalitionen zerschlagen. Gegen Ende des Jahres brach das "Kalifat" noch zu dem einen oder anderen erfolgreichen Streifzug auf.

Proxy-Krieg der Saudis mit Iran auf stabilem Niveau

Trotz der drastischen Verschlechterung der Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Iran Anfang dieses Jahres, als in Riad der schiitische Prediger Nimra-al-Nimra hingerichtet wurde, ist es nicht zu einer direkten Konfrontation zwischen den beiden systemrelevanten Staaten der Region gekommen. Sie sind aber nach wie vor indirekt in alle Konflikte der Region im Wege eines gegeneinander geführten Proxy-Krieges involviert, vor allem im jemenitischen Bürgerkrieg.


Dennoch war es zum Ende des Jahres möglich, einige Kompromisse zwischen den regionalen Mächten zu erreichen, etwa als im Libanon der "Proiraner" Michel Aoun zum Präsidenten gewählt wurde und der Protegé der Saudis, Saad Hariri, das Regierungskabinett übernahm. Auch im Rahmen der OPEC-Verhandlungen um die Öl-Fördermenge zwischen dem Ölkartell und Nicht-OPEC Staaten konnten die Saudis und der Iran infolge der Vermittlungsbemühungen vonseiten Russlands eine Vereinbarung erzielen.

Darüber hinaus ist das Jahr für den Iran und Saudi-Arabien auch ganz unterschiedlich verlaufen. Während die Saudis infolge des niedrigen Ölpreises zum ersten Mal seit vielen Jahren ihren Wohlstand ernsthaft gefährdet sahen, konnte Teheran viele außenpolitische Erfolge für sich verbuchen. Mit Beginn des Jahres 2016 endete die Isolation des Landes im Bankensystem und im Energiesektor. Der Iran trat als ernstzunehmender Akteur in mehreren internationalen Verhandlungen hervor.

Auch wenn der Iran weiterhin als Gegner der USA auf internationaler Ebene gilt und die Saudis als deren Verbündete, fielen beide Staaten im vergangenen Jahr beim US-Kongress in Ungnade. So verabschiedete der Kongress das als antisaudisch geltende Gesetz gegen "Sponsoren des Terrorismus" und verlängerte die Sanktionen gegen den Iran um weitere zehn Jahre.


Ägyptische Enttäuschungen

Am Anfang des Jahres war Ägypten sehr aktiv im Ausbau der Beziehungen mit den Monarchien der Arabischen Halbinsel. Vor allem erhoffte sich das nordafrikanische Land Vergünstigungen beim Öl-Preis und günstige Milliardenkredite vonseiten der Saudis. Im Gegenzug übergab Ägypten dem Nachbarland zwei Inseln im Roten Meer, was im Landesinneren heftige Proteste provozierte.

Bei den Inseln sollte es nicht bleiben. Die Saudis forderten von Ägypten auch politische Unterstützung, sprich Hörigkeit in geopolitischen Fragen. Als die Ägypter diese nicht lieferten, sondern stattdessen im UNO-Sicherheitsrat für eine russische Syrien-Resolution stimmten, ließ Riad die Öl-Lieferungen stoppen. Von diesen Spannungen wird möglicherweise der Iran profitieren, denn Ägypten hat auf der Suche nach neuen Lieferanten bislang in erster Linie mit Teheran verhandelt.

Insgesamt ließ Ägypten seine mehrgleisige außenpolitische Orientierung auch im vergangenen Jahr aufrecht. Zu den wichtigsten und dauerhaftesten Partnern Ägyptens zählt nach wie vor Russland. Beide Länder erzielten auch Fortschritte im Bereich der militärischen Zusammenarbeit, etwa als im Oktober beispiellose Militärübungen unter dem Motto "Verteidiger der Freundschaft" stattfanden.


Dennoch ist das Potenzial der Beziehungen zu Russland noch bei weitem nicht ausgeschöpft. Laut einem 2016 geschlossenen Abkommen sollte Russland schon mit dem Bau von vier Kernblöcken eines Atomkraftwerks beginnen, dieses Vorhaben wurde aber auf das nächste Jahr verschoben. Auch im Militärsektor bleibt Ägypten trotz der Zusammenarbeit mit Russland noch sehr vorsichtig. Es will sich nicht zu sehr auf eine Seite festlegen, um den Westen nicht zu ärgern. Bis jetzt durfte Russland ägyptisches Territorium noch nicht nutzen, um eine Basis für Luftstreitkräfte im Zuge der Antiterroroperation in Syrien zu errichten.

Türkische Brüche

Die Türkei hatte ein schwieriges Jahr zu verzeichnen. Im Zuge des bewaffneten Konfliktes mit der kurdischen PKK im Süd-Osten des Landes sowie einer Reihe von Anschlägen erlitt das Land menschliche Verluste in vierstelliger Höhe.

Die türkische Armee war imstande, die militärische Operation gegen den bewaffneten Flügel der PKK mit Erfolg zu beenden. Dazu kamen politische Säuberungen in den Reihen der legalen kurdischen Opposition, die deren politische Vertretung zusehends schwächten. Im Gegenzug eröffneten kurdische Radikale den Partisanenkrieg in ländlichen Gebieten und türkischen Großstädten.

Der Schlüsselereignis für das Land blieb jedoch der Putsch-Versuch im Juli und darauffolgende Repressionen seitens des an der Macht gebliebenen Präsidenten Erdogan. Es ist offensichtlich, dass die Türkei immer mehr in den Strudel der nahöstlichen Destabilisierung gerät. Trotz oder vielleicht zum Teil auch gerade wegen der innenpolitischen Spannungen vermochte die türkische Führung außenpolitisch sehr aktiv zu bleiben.

Und das nicht ohne Erfolg: Durch den Einmarsch im Norden Syriens konnte die Türkei die Position der dortigen Kurden und deren Autonomiebestrebungen erheblich schwächen. Glaubt man den Meldungen ihrer Generäle, konnte türkische Armee auch DAESH schwere Schläge verpassen. Das wichtigste militärische Ziel - die Einnahme der Stadt Al-Bab - blieb allerdings bis dato unerreicht.

Die Normalisierung der Beziehungen mit Russland war ebenfalls eine wichtige Zäsur, die das Land und die Region von einer gefährlichen Konfrontation mit Moskau bewahrte. Zwar sind die Interessen Russlands und der Türkei im Nahen Osten nach wie vor sehr unterschiedlich, die Mechanismen der Regulierung und Balancefindung zwischen den beiden Staaten sind jedoch nun wieder in den Händen von Diplomaten und - Vertretern der Wirtschaft. Wie kompliziert dieser Weg sein kann, zeigte aufs Neue der Mord am russischen Botschafter am 19. Dezember in Ankara.


Israel richtet sich immer mehr an Russland aus

Die nahöstlichen Turbulenzen machten in diesem Jahr weitgehend einen Bogen um Israel. Ungeachtet potenzieller Bedrohungen von außen durch terroristische Vereinigungen und radikale Milizen auf ägyptischem Boden, im Gaza-Streifen oder Libanon sowie terroristischen Vereinigungen in Syrien blieb Israel unbehelligt. Das war weitgehend auch der engen Koordination und "Uhren-Abstimmung" mit Russland durch das gesamte Jahr hindurch zu verdanken.

So ist z. B. trotz der Luftschläge gegen bewaffneten Konvois zwischen Damaskus und Beirut der neue Libanonkrieg zu seinem 10. Jahrestag nicht aufgeflammt. In guter Tradition nutzte die Regierung in Jerusalem auch ganz pragmatisch neben den offenen die diskreten außenpolitischen Kanäle. Die Folge davon ist unter anderem eine engere Zusammenarbeit mit den Saudis im Rahmen der gemeinsamen antiiranischen Plattform.


Aus dieser Perspektive lässt die Wahl des neuen US-Präsidenten mit seiner bekannten "Iran-Skepsis" Israelis optimistisch in die Zukunft blicken. Allerdings erscheint eine Lösung der Palästina-Frage nach dem Zwei-Staaten-Prinzip mit Trump als wenig wahrscheinlich, was das Problem prolongieren könnte.


"Kalifat" hat standgehalten

Der Irak und Syrien sind im Epizentrum der terroristischen Aktivität von DAESH und anderen dschihadistischen Vereinigungen geblieben. Das Territorium des "Kalifats" ist zwar deutlich geschrumpft, aber der IS hat noch Potenzial für effektive Gegenschläge an fast allen Frontabschnitten. Die Hauptplage des Nahen Osten orientierte sich im Jahr 2016 von der Einnahme von Territorien weg auf die Suche nach dem Zugang zu neuen Ressourcen, vor allem materiellen und menschlichen.

Aufschub im Irak, Wende in Syrien

Zwar war die Offensive auf Mossul gut vorbereitet und groß angekündigt, doch ist sie schon bald nach ihrem Beginn ins Stocken geraten. Dabei ist die Regierung Haider al-Abadi sehr stark auf Erfolge ihrer Armee angewiesen. Der Premierminister kann sich vor dem Hintergrund politischer Anfechtungen und einer bleibenden terroristischen Gefahr nicht erlauben, die Operation in die Länge zu ziehen.

Der Krieg in Syrien überschritt unterdessen die Dauer von fünf Jahren. Die Regierung von Baschar al-Assad zeigte dabei ihre ungebrochene Handlungsfähigkeit. Die syrische Armee ist auch ausreichend kampffähig. Diese Lebensfähigkeit ist jedoch zu sehr großen Teilen auch der Unterstützung vonseiten Russlands und des Irans zu verdanken. Was passieren kann, wenn die syrischen Kräfte alleingelassen werden, zeigte die Rückeroberung der symbolträchtigen Stadt Palmyra durch DAESH.


Damit war die Zerschlagung der unterschiedlichen Rebellenformationen in und um Aleppo der einzige große militärische Erfolg der syrischen Armee in diesem Jahr. Die endgültige Lösung der Frage, ob der Kampf gegen die "extremistische Internationale" erfolgreich bleiben wird, ist damit auf das nächste Jahr verschoben. Dabei ist es immer noch zu früh, von einer Wende im Syrien-Konflikt zugunsten der Syrischen Arabischen Armee zu sprechen.


Kommentar: Die Erlösung der Bevölkerung Aleppos von den Terroristen ist in der Tat ein großer Lichtblick in diesem schrecklichen Krieg.


Zudem ist es das Scheitern des so genannten Genf-Formats, was die zweite Hälfte des Jahres kennzeichnete. Die Zusammenarbeit zwischen Russland und USA erwies sich auf dieser Etappe als nicht handlungsfähig. Das neue diplomatische Dreieck Russland-Türkei-Iran lässt zwar auf gewisse Fortschritte hoffen, bleibt aber trotzdem immer noch Experiment.

Trotzdem ist der Ausschluss der USA aus den Verhandlungen zu Syrien ein willkommener diplomatischer Etappensieg für Russland und Iran. Inwieweit sich aber die beiden Staaten, die untereinander auch keine Verbündeten sind, auf die türkische Seite verlassen können, bleibt nach wie vor ein großes Fragezeichen.


Kommentar: Die USA behindern die effektive Bekämpfung des Terrorismus in jeder Form, denn die Terroristen sind ihre Spielfiguren. Deshalb ist es nur richtig, sie aus den Verhandlungen um Syrien herauszuhalten:
  • Syriens Präsident Assad: "Der Westen will nicht, dass die Terroristen besiegt werden



Jedenfalls, und das ist entscheidend für eine dauerhafte Lösung des Konflikts, zeigt die syrische Führung trotz der Ermüdung ihrer Armee nach über fünf Jahren Krieg wenig Interesse, sich mit den Erfolgen in Aleppo zufriedenzugeben. Es gibt Anzeichen dafür, dass es schon demnächst für extremistische Gruppierungen rund um Idlib und im Süden Syrien nahe Damaskus ungemütlich werden könnte.

Russland festigt seinen Einfluss

Bei allen Problemen und offenen Fragen bleibt die Tatsache unbestritten, dass Russland sein Einflusspotenzial in der nahöstlichen Region deutlich vergrößern konnte. Die russische militärische Präsenz in Syrien bekam eine unbefristete Basis. Der Luftwaffenstützpunkt in Hmeimim und die Basis für technisch-materiellen Instandsetzung der Marine in Tartus werden nunmehr auf stetiger Basis geführt.

Die militärischen Ziele der Schwächung und späterer Vernichtung der in Syrien agierenden terroristischen Vereinigungen erfüllten sich im Jahr 2016 zu großen Teilen. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums wurden Anhänger der Terroristen aus Russland und postsowjetischen Staaten bereits zu Tausenden getötet.

Auch auf dem diplomatischen Parkett leistete Russland zu allen Problemzonen im Nahen Osten enorme Arbeit. Im humanitären Bereich war Russland bei Medikamentenlieferungen, der Organisation von Flüchtlingskorridoren usw. zumindest in Syrien federführend. Russland hat sich auf diese Weise wieder als angesehene Macht innerhalb der Region festigen können.

Dennoch besitzen die USA und andere nahöstliche Akteure genügend Hebel, um die gemeinsamen Bemühungen von Moskau und Teheran zu torpedieren.