Wikileaks files
© Toby Melville/Reuters
Im Zuge der jüngsten Enthüllungen von Wikileaks und der Hysterie über russische Hacker scheinen immer mehr Menschen zu merken, dass hier etwas nicht stimmt: Seit Monaten werden wir mit Horror-Geschichten über Russlands angebliche Cyber-Angriffe bombardiert und nun enthüllt Wikileaks, dass die CIA quasi sämtliche Smartphones, Fernseher und Laptops als digitale Wanzen verwendet und Menschen weltweit ausspäht. George Orwell müsste sich im Grabe umdrehen! Und der Clou: Die Pappnasen Schlapphüte der CIA können ihre Angriffe sogar so tarnen, dass es so aussieht, als kämen sie aus einem anderen Land - da erscheint die Stimmungsmache gegen angebliche "russische Hacker" plötzlich in einem ganz neuen Licht. So hat Wikileaks beispielsweise enthüllt, dass einige der Smartphone-Abhörstationen der CIA den Namen "Pocket Putin" ("Taschen-Putin") tragen...

Auch Edward Snowden, der bekanntlich die haarsträubenden Schnüffeleien der NSA aufdeckte, schaltet sich auf Twitter in die Diskussion ein:

Übersetzung:
"Wenn Ihr über die Wikileaks-Story schreibt - hier ist das Ding: Es ist der erste öffentliche Beweis, dass die US-Regierung im Geheimen dafür zahlt, dass Software unsicher gehalten wird."

"Die CIA-Berichte zeigen, wie die US-Regierungen Schwachstellen in US-Produkte einbaut und dann bewusst dafür sorgt, dass diese Löcher offen bleiben. Unfassbar fahrlässig."

- Edward Snowden
Kurz gesagt: Die CIA verfügt über Möglichkeiten, so gut wie alle elektronischen Gadgets auszuspionieren und in Wanzen zu verwandeln, indem der Geheimdienst Schwachstellen in die Software der großen Hersteller wie Apple, Google und Microsoft einbaut. Wir haben es ja schon immer geahnt, aber nun ist es offiziell: die CIA ist eine Art Stasi mit Raketenantrieb.

Doch in der merkwürdigen Welt von Geheimdiensten, Spionage und psychologischer Kriegsführung ist nicht immer alles so, wie es scheint. Ein wichtiger Aspekt in diesem Skandal ist, wie sich die diversen Leaks auf die Menschen auswirken und wie sie von den Medien aufgegriffen werden.

Schweigen im deutschen Mainstream

Die von Wikileaks veröffentlichten CIA-Dokumente werden in den deutschen Medien erstaunlich leise behandelt. Und wenn doch, dann bleibt eigentlich nur die Message hängen: Die CIA kann Dein Smartphone, Deinen Fernseher und Deinen Laptop hacken! Sie wissen über alles Bescheid! Sie horchen Dich aus! Ironischerweise spielen das manche Medien - wie etwa die Deutsche Welle - auch noch herunter und erwecken sogar den Eindruck, das Ganze sei vielleicht ja legal oder jedenfalls nicht so schlimm. Zurück bleibt lediglich das ungute Gefühl: Kann ich mich noch frei äußern, ohne überwacht zu werden?

Beim Spiegel und bei der Süddeutschen finden wir aktuell überhaupt nichts zu dem Thema auf deren Startseiten. Mit ein bisschen Suchen stößt man dann doch auf kleine Artikel, die meist von den Nachrichtenagenturen kommen und das Thema herunterspielen. In einem besonders gespenstischen Stück werden einfach - ohne Widerrede und ohne andere Meinungen zu berücksichtigen - Offizielle aus den USA zitiert, die eine Gefahr für US-Bürger sehen, weil ihr Geheimdienst diese nach den Enthüllungen nicht mehr so einfach ausspionieren schützen kann! Wie bitte? Ganz am Ende des Artikels heißt es ganz lapidar:
Aus den Dokumenten geht laut WikiLeaks hervor, dass die US-Regierungshacker unter anderem iPhones von Apple, Android-Geräte von Google, Software von Microsoft und Samsung-Fernseher angreifen, um Nutzer auszuspionieren.
Als ob das kein Skandal wäre! Sollen wir nicht stolz auf unsere demokratischen Verfassungen sein? Sind unsere Bürgerrechte, wie sie im Grundgesetz stehen, nicht angeblich die Grundlage unserer westlichen "Wertegemeinschaft"? Man stelle sich vor, ähnliche Dokumente brächten so etwas über Russland ans Licht - den monatelangen Medienzirkus kann man sich gut vorstellen.

Unsere Medien scheinen noch nicht zu wissen, wie sie mit dem Thema umgehen sollen. Dasselbe gilt auch für die US-Medien - und da sich die deutschen "Leitmedien" stark an diesen orientieren, haben sie wohl dieselbe Ratlosigkeit übernommen. Wenn dort aber die Marschroute vorgegeben und die "Talking points" zum Thema Wikileaks in der Washington Post und der New York Times zu lesen sind, können wir sicher sein, dass sich diese Gedanken auch hier in Spiegel, SZ & Co. wiederfinden. Spoiler: Die haarsträubende Anschuldigung, Wikileaks sei ein Propagandawerkzeug Russlands, wird bereits in Stellung gebracht, etwa in der Zeit.

Red Menace Russian propaganda red scare
CIA hackt alle Smartphones? Russland ist Schuld, irgendwie...
Vielleicht liegt die Sprachlosigkeit auch daran, dass die CIA-Dokumente zeigen, wie die Spione in Langley Hackerangriffe so tarnen können, dass es so aussieht, als kämen sie von einem anderen Land. Das führt natürlich die ganzen Hacker-Anschuldigungen gegen Russland, die gerade auch von den Medien wie ein Mantra verbreitet wurden, ad absurdum. Hier den Spieß umzudrehen und Wikileaks als Russland-Agenten hinzustellen ist schon ein bemerkenswertes Stück widersinniger und unlogischer Propaganda.

In einer besonders ironischen Wendung finden wir derzeit einen Artikel auf Spiegel Online, der eine Oppositionsgruppe in der ehemaligen DDR lobt, die damals die Stasi mit ihren eigenen Methoden schlagen wollte und einfach zurückspionierte! Nichts anderes machen ja heutige Whistelblower, oder nicht? Aber die werden heute als russische Agenten diffamiert! Was für eine verrückte Welt.

Psychologische Kriegsführung

Es drängen sich weitere Fragen auf. Zunächst einmal: Wer profitiert eigentlich von den Wikileaks-Enthüllungen und auch von den früheren Snowden-Leaks? Überlegt man sich, was von den Leaks im öffentlichen Bewusstsein hängengeblieben ist, dann ist das vor allem dies:
  1. Die NSA/CIA überwacht uns alle. Sie kennen unsere politischen Meinungen und wir können nichts dagegen tun.
  2. Wer sich dagegen auflehnt, dessen Leben wird zerstört und er muss fliehen - siehe Snowden, Manning oder Assange.
  3. Ergo: Es ist gefährlich, eine Meinung abseits des Mainstream-Konsenses zu vertreten. Erst recht online.
Dies führt zwangsläufig zu einer psychologischen Schockstarre. Die verständliche Reaktion vieler Menschen ist, dass sie sich nicht mehr trauen, online oder im echten Leben über bestimmte Themen zu sprechen, aus Angst vor Repressionen. Ich selbst habe das von Bekannten auch genauso gehört: "Ich schreibe auf Facebook lieber nichts über Terroristen, ansonsten hat mich die NSA ja an der Angel!" Somit werden kritische Stimmen erstickt, kritische Menschen daran gehindert, sich am Diskurs zu beteiligen. Gleichzeitig wird alles dafür getan, echte Whistleblower abzuschrecken: Snowden, Assange und Manning werden als Verräter geächtet und es wird sogar deren Tod gefordert. Die Vermutung liegt nicht allzu fern, dass genau diejenigen von den Leaks profitieren, die als Opfer der Whistleblower dargestellt werden: die Geheimdienste und der damit verbundene Machtapparat.

Anders gesagt: All jene, die süchtig nach ihren Smartphones sind, Pokemon Go spielen oder ihre Zeit mit endlosen, inhaltsleeren Chats verbringen, werden sich wohl kaum von den Leaks davon abbringen lassen, sofern sie diese überhaupt mitkriegen. Aber diejenigen, die politisch interessiert und kritisch sind, werden möglicherweise abgeschreckt, ihre Meinung zu äußern. Das wäre ein Sieg auf ganzer Linie für den autoritären Staat. Vergessen wir nicht, dass psychologische Kriegsführung - nach innen wie nach außen - schon lange zum Repertoire des Machtapparats gehört.

Genau hinsehen - ohne Angst

Was auch immer noch von Wikileaks zu den CIA-Machenschaften kommt - wir tun gut daran, das ganze Bild im Blick zu behalten. Dazu gehört auch zu beobachten, was von den Enthüllungen wirklich bei den Menschen "hängenbleibt", ob sie sich trauen, etwas dazu zu sagen (oder auch nicht), und wie diverse Medien und Politiker auf die Enthüllungen reagieren. All dies könnte wertvolle Hinweise darauf geben, was gerade hinter den Kulissen passiert und wie es weitergeht. Jedenfalls sollten wir uns nicht in die Angst treiben und mundtot machen lassen, nur weil es bei der CIA Hacker gibt. Denn Furcht führt zur dunklen Seite und damit zu unendlichem Leid, um es frei nach Yoda zu sagen.