Bundesinnenminister Thomas de Maizière plant die Befugnisse der deutschen Sicherheitsbehörden bei der Videoüberwachung erheblich auszubauen. Opposition und Datenschützer kritisieren das Vorhaben scharf.
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© SputnikEin Videoüberwachungssystem während des 20ten Internationalen Forums "Security and Safety Technologies" in Moskau, September 2016
Aus einem entsprechenden Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums aus dem zunächst die Dortmunder Ruhrnachrichten zitierten, geht unter anderem hervor, dass die Sicherheit der Bevölkerung „durch einen verstärkten Einsatz von Videoüberwachung insgesamt erhöht werden“ soll.

Insbesondere soll in diesem Zusammenhang die Überwachung an öffentlichen und privatrechtlich betriebenen Orten, wie Sportstätten, Parkplätzen, Einkaufszentren sowie Bahnen und Bussen verstärkt werden. Geplant ist ebenfalls die automatische Erfassung von Autokennzeichen an den bundesdeutschen Grenzen.

Bundesinnenminister de Maizière begründet die Pläne mit der Vorbeugung von Terroranschlägen und bezieht sich dabei explizit auf die Gewalttaten von Ansbach und München. Laut Gesetzentwurf, der sich laut Ministeriumssprecher Johannes Dimroth aktuell in der Ressortabstimmung befindet, "besteht die Notwendigkeit, Sicherheitsbelange stärker zu berücksichtigen und bei der Abwägungsentscheidung mit größerem Gewicht einzubeziehen", um derlei Terroranschläge in Zukunft zu verhindern.

Der Entwurf für das Gesetzt mit dem sperrigen Namen „Videoüberwachungsverbesserungsgesetzt“ sieht als Konsequenz ebenso eine Änderung im Datenschutzgesetz vor, in dem zukünftig die Sicherheit der Bevölkerung als wichtiges Ziel „besonders zu berücksichtigen“ sei. Zusammen mit weiteren Vorhaben zur mutmaßlichen Erhöhung der inneren Sicherheit, soll das Bundeskabinett den Gesetzentwurf noch im November auf den Weg bringen.

Erst am vergangenen Freitag hatte die große Koalition ein neues Gesetzespaket for den Bundesnachrichtendienst (BND) verabschiedet. Auch darin räumen die Abgeordneten aus CDU und SPD den Behörden massive Befugnisse ein, um die Bevölkerung zu überwachen.

Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion hervorgeht, ist neben der generellen Ausweitung der Videoüberwachung zudem ein Pilotprojekt geplant, um die Wirksamkeit entsprechender Gesichtserkennungssoftware an Flughäfen und Bahnhöfen zu testen.

Damit geht de Maizière selbst über die zuvor verabschiedete Erklärung der CDU/CSU-Innenminister hinaus, in der die „intelligente“ Gesichtserkennung anhand digitaler Software keine Erwähnung fand.

Währenddessen beurteilen Teile des Koalitionspartners SPD das Vorhaben kritisch. Berlins Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk lehnt den Entwurf grundsätzlich mit folgenden Worten ab:
Es ist zu befürchten, dass diese Regelung zu einer Videoüberwachung großer Bereiche insbesondere der Innenstadt Berlins führt, ohne dass es hierfür konkrete einzelfallbezogene Anlässe gibt.
Im Gegensatz dazu ist Burkhard Lischka, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, folgender Ansicht:
Die gewachsene Terrorgefahr gebietet es, dass nicht nur öffentliche Plätze wie Bahnhöfe und Flughäfen, sondern auch Einkaufszentren und große Veranstaltungen videoüberwacht werden.
Bislang knüpft das geltende Bundesdatenschutzgesetz die Videoüberwachung an genau definierte Voraussetzungen.
"Optisch-elektronische Einrichtungen gehören bisher nicht dazu und seien daher nur zulässig, solang sie zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen, zur Wahrnehmung des Hausrechts sowie berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich seien."
Ohnehin ist bislang nicht gesichert, ob auch die Datenschutzbehörden der Länder, in deren Zuständigkeitsbereich der Einsatz von Überwachungstechnik in öffentlich zugänglichen Bereichen fällt, dem Gesetzentwurf zustimmen. Laut Innenministerium stehen sie einer entsprechenden Videoüberwachung eher skeptisch gegenüber.

Seitens der Opposition und etablierter Datenschützer stößt der Gesetzentwurf ohnehin auf offene Kritik. Diese sind vom Sinn verschärfter Videoüberwachung zum Zwecke der Terrorabwehr und Verfolgung Verdächtiger alles andere als überzeugt, da sie die zusätzliche Beschneidung der Privatsphäre und der Grundrechte unter dem Vorwand vermeintlich erhöhter Sicherheit befürchten.

Dazu Frank Tempel von der Fraktion Die Linke:
Was de Maizière bewusst ignoriert, ist, dass Videokameras noch niemandem zu Hilfe geeilt sind.
Der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz kann ebenfalls keinen Mehrwert ausmachen:
Videoüberwachung kann zwar einen Teil dazu beitragen, Straftaten im Nachhinein aufzuklären, Taten verhindern kann Technik jedoch nicht.
Das langläufige Argument lautet denn auch, dass die Videoüberwachung vor allem bei der Aufklärung bereits begangener Taten besonders effektiv und schnell sei. Doch es darf bezweifelt werden, ob sich Terroristen und die vor allem gefürchteten potentiellen Selbstmordattentäter, denen Kameras naturgemäß in der Regel eher egal sein dürften, sich von der Installation entsprechender Überwachungssysteme abschrecken lassen.

Doch selbst jüngste Beispiele wie der Fall des Dschaber al-Bakr lassen Zweifel daran aufkommen, ob verschärfte Videoüberwachung dazu führt, die Sicherheit zu erhöhen. Wäre der potentielle Attentäter durch die nochmalige Ausweitung der Videoüberwachung womöglich früher gestellt worden?

Die Frage kann wahrscheinlich nicht klar beantwortet werden, denn die rechtzeitige Ergreifung des Syrers scheiterte nicht an mangelnder Informationen. Sie missglückte vielmehr, da bereits vorhandene Informationen keine sorgfältige Auswertung erfuhren. Sie scheiterte auch aufgrund eines schlichten Mangels an handwerklich solider Polizeiarbeit.

Welchen Nutzen die Identifizierung al-Bakrs nach einem womöglich erfolgreichen Attentat mit etlichen Toten gehabt hätte, können wohl nur diejenigen beantworten die für die Ausweitung der Videoüberwachung plädieren. Ohnehin wimmelt es bereits überall, auch in Deutschland, von Kameras zum Zwecke der Überwachung.

Sei es in der U-Bahn, an Geldautomaten, bei Demonstrationen, im Fußballstadion: Anonymität ist bereits jetzt nur noch eine Erinnerung an längst vergangene Zeiten. Was womöglich jedoch erhöht wird, ist lediglich ein subjektiv empfundenes Sicherheitsgefühl.

Dient die noch weiter verstärkte Überwachung dann zumindest der Abschreckung möglicher Straf- und Attentäter? Eine im Februar 2016 erschienene Studie der Organisation Big Brother Watch aus London, der Stadt mit der wohl flächendeckendsten Installation von Überwachungskameras überhaupt, wies nach, dass es keinen nachweislich kausalen Zusammenhang zwischen der vermehrten Installation entsprechender Systeme und der Reduzierung von Verbrechen gibt.

Zunächst hält Big Brother Watch fest:
Seit über 20 Jahren handelt es sich bei der Nutzung von CCTV [Closed Circuit Television] um eine tragende Säule auf unseren Straßen und öffentlichen Plätzen. Vor zehn Jahren führte der Enthusiasmus für CCTV dazu, dass es sich bei Großbritannien um die meist beobachtete Nation der Welt handelt. Wie immer wenn wir vorangehen, folgen andere, so dass nun zahllose Länder der Welt Kameras installieren und ihre Bürger kontrollieren.
Letztendlich schlussfolgert die zivilgesellschaftliche Organisation:
Big Brother Watch plädiert nicht für eine Entfernung aller CCTV Kameras. Im Rahmen einer breit angelegten Strategie kann der Einsatz von CCTV nützlich sein, insbesondere, wenn die entsprechenden Systeme sich am richtigen Ort befinden und effektiv genutzt werden.
Und doch, über die Nutzung bei der Verfolgung von Autodiebstählen hinaus, wurde der Nutzen nie vollständig untersucht. Doch ohne empirische Studien über den Einsatz von CCTV in der Vergangenheit und heute bleibt völlig unklar, welche Verbrechensgebiete eine Reduzierung durch den Einsatz der entsprechenden Technologie erfahren.
Darüber hinaus gibt es, wie in Deutschland, keine verlässlichen Zahlen darüber, wie viele Kameras es überhaupt bereits im Land gibt.

In Deutschland wurde im Jahr 2006 ein Pilotprojekt durchgeführt, um den Nutzen der Videoüberwachung zu untersuchen. Dr. Leon Hempel und Dipl. Chem. Christian Alisch kamen in ihrem Zwischenbericht mit dem Titel „Evaluation der 24-Stunden-Videoaufzeichnung in U-Bahnstationen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG)“ zu folgendem Ergebnis:
Eine Veränderung der Kriminalitätsrate zeichnet sich aufgrund der Einführung der Videoaufzeichnung bisher nicht ab. Bezogen auf Sachbeschädigungen deuten die zugrunde gelegten Vergleichszahlen eher auf einen leichten Anstieg hin
Neben Staaten sammeln darüber hinaus bekantlich längst auch Unternehmen zentralisiert Videobilder und entsprechend personifizierte Daten. Ihnen geht es unter anderem eher um möglichst lückenlose Informationen über potentielle Konsumenten, denn um die Förderung gesellschaftlicher Sicherheit.

Angesichts des zweifelhaften Sinns der zunehmenden Überwachung und Beobachtung der Bürger schießen denn auch Spekulationen ins Kraut, worum es der Politik bei ihrem Trommeln für den gläsernen Menschen wohl tatsächlich gehen mag.

Zumindest wird deutlich, dass es bei dem Gesetzentwurf für eine verstärkte Videoüberwachung wohl eher um Symbol- oder vielmehr Symptompolitik geht, denn Kriminalität und Terror sind vor allem gesellschaftliche Phänomene für deren effektive Bekämpfung bisher leider keine adäquaten Konzepte vorgelegt wurden. Kein Placebo sondern eine wirksame Arznei ist von Nöten.